2. Teil: Die Brigade Mathy bei Dornach

 

Betrachten wir nun den rechten Flügel mit der Brigade Mathy und die Ereignisse um Mülhausen und Dornach.

Zunächst der ausführliche Bericht von Ltn. Killian:

"Die Brigade Mathy setzte sich zusammen aus: LIR (Landwehr Infanterie Regiment) 40 und LIR 110, der Feldbatterie Heeres (FAR 76), einer schweren Haubitzbatterie unter Hptm. Lenz sowie einer Schwadron Dragoner 14. Man marschierte also am 18.08.1914 wieder „durch den verhassten Hardtwald auf seinen langen, schnurgeraden Schneisen zwischen ausgedörrtem Gestrüpp“ und besetzt am Abend kampflos den Schoffberg nördlich Zimmersheim. Der Befehl der Armeeabteilung Gaede für den folgenden Tag lautete: Vom Schoffenberg nach Mülhausen hinabzusteigen, mitten durch die Stadt zu marschieren und über Dornach – Niedermorschweiler (Anm.: heute: Morschwiller le Bas) nach Heimsbrunn vorzugehen.

Am 19.08. um 6:30h trat die Truppe an. Es ging durch eine Art Hohlweg hinab zur Stadt Mülhausen. Der General lies vor dem Einmarsch in die Stadt die Kinnketten der Helme herunter nehmen und das Bajonett aufpflanzen. Man hatte keine Meldungen über den Gegner. Die ausgesandten Reiterpatrouillen blieben aus, offenbar abgefangen oder zusammen geschossen worden. Die Vorhutkompanie wurde in zwei Kolonnen aufgeteilt, welche rechts und links der Strasse auf den Bürgersteigen durch die Stadt zogen. Die Männer mussten jeweils auf die gegenüber liegenden Fenster achten, denn es wurde damals viel aus Häusern geschossen. Die Spannung wuchs. Man marschierte am Hauptbahnhof vorbei, passierte die Kanalbrücke, dann die großen Hotels und bog schließlich in die Dornacherstrasse ein, jeden Moment auf Überraschungen gefasst. Aber nichts geschah!

Der lange Ltn. Schilling führte mit seinem 1. Zug der 10. Komp. LIR 40 die Spitze. Es folgten die übrigen 3 Kompanien des III. Bataillons. Dahinter schon folgte, weit vorgezogen, die Batterie Heeres, dann die übrigen 2 Bataillone des LIR 40. Am Schluss der Kolonne marschierten, in Abständen, die schwere Haubitzbatterie Lenz und 2 Bataillone des LIR 110. Das III. Bataillon blieb vorerst in Mülhausen. General Mathy ritt mit seinem Stab hinter der Vorhutkompanie, um sofort orientiert zu sein. Kein Schuss fiel, alles blieb ruhig. Die Straßen waren menschenleer, die Läden vieler Hausser geschlossen. Es kam den Soldaten so vor, als ob die Einwohner von der Lage mehr wissen als sie selbst.

Gegen 9:30h näherte sich die Spitze dem Bahnübergang auf der Dornacher Straße. Da ruft eine alte Bahnwärterfrau dem Ltn. Schilling zu: „Herr Leutnant, gehen Se da net weiter, da kommen Se in ä Falle!“ Schilling macht dem Major davon Meldung. Dieser donnert ihn an: „Ach was, lassen Sie diese alte Maratzel quatschen und machen Sie, dass Sie nach vorne kommen!“ 
Da, plötzlich um 9:45h peitschen die ersten Infanterieschüsse vom Ortsrand her. In kurzer Zeit entwickelte sich vorne ein heftiges Infanteriegefecht. Offenbar hatte der Feind schon einige Häuser von Dornach besetzt. Es kam zu heftigen Kämpfen. Nun kam Leben in die Truppe. Die Bataillone zogen nach vorne, die Kompanien verschwanden in verschiedenen Richtungen in den Gassen des Ortes. LIR 40 zog in westlicher Richtung durch Dornach und besetzte mit dem III. Bataillon die Häuser um die Straße sowie südlich davon eine Gärtnerei und die Friedhofsmauer. Der größte Teil des II. Bataillons dagegen zog den Hügel hinauf und verteilte sich nördlich der Straße in dem Garten- und Häusergebiet. LIR 110 ging nach rechts über den Bahnhof Dornach nach dem Nordwestrand des Ortes. So wurde ausgeschwärmt und eine halbkreisförmige Linie zwischen der Doller im Norden und der Ill im Süden gebildet. Der Gefechtslärm nahm stark zu, die französische Artillerie verschoss Granaten und Schrapnells. Man wusste nicht mehr, woher und wohin geschossen wurde. Man musste brüllen um sich zu verstehen. Und man hatte nun das Gefühl, in eine Falle geraten zu sein.

Die Franzosen griffen mit starken Kräften an. Sie entwickelten sich entlang der Strassen Didenheim – Dornach und Niedermorschweiler – Dornach. Die deutsche Feldbatterie stand in der Dornacherstrasse, dicht umgeben von Infanteristen.

General Mathy befand sich mit seinem Stab bei der kleinen Dornacher Apotheke, als er plötzlich meinte, es seien Schüsse auf sie gefallen. Er schickte den Unteroffizier Tscheulin (Anm.: aus Teningen bei Emmendingen) mit einigen Männern in die Apotheke. Die Türe war verschlossen, sie wurde kurzerhand eingeschlagen. Bald kam Tscheulin mit zwei blassen Männern in weißen Mänteln wieder heraus. Es sah schlecht für die beiden aus. Da meldete Tscheulin dem General, die beiden seien unschuldig. Der General überlegte kurz und sagte dann: „Sie haben recht, die Leute können gehen“. Mit dankbarem Blick sahen sich die beiden nach dem Unteroffizier um, der ihnen das Leben gerettet hatte.

Dann kamen Meldungen von vorne: Franzosen drangen aus Niedermorschweiler in mehreren Schützenlinien vor und griffen an. Einige Fabrikgebäude nördlich der Straße waren schon besetzt. Die deutschen Landwehrbataillone waren in den Gärten eingekeilt und konnten sich nicht entfalten. Man forderte Artillerieunterstützung an. Ein Geschütz der Batterie Heeres unter Ltn. Besser ging vor, und fuhr frei an die hundert Schritte vor dem Ortsausgang auf. Der Leutnant eröffnete das Feuer auf 1800 m Entfernung und schoss mitten in die anmarschierenden französischen Kolonnen. Danach jagte er seine Granaten in die dichten Schützenlinien bis herab zu 350 m Entfernung. Ein Hagel feindlicher Kugeln von vorne, von hinten und rechts überschüttete die Kanoniere. Es gab Verluste.

Die Notrufe häuften sich. Immer dringender wird Unterstützung angefordert. Da gab der Artilleriekommandeur dem Hauptmann Heeres den Befehl, mit der ganzen Batterie am Ortsausgang von Dornach in offene Feuerstellung zu gehen. Hauptmann Heeres stand mit verbissenem Gesicht vor seinem Vorgesetzten und antwortete mit scharfer Stimme: „Dann ist die Batterie verloren, Herr Oberstleutnant!“ Der Kommandeur bestand aber darauf, dort „offen“ aufzufahren. Hauptmann Heeres war totenblass, Tränen der Wut traten in seine Augen. Er schlug die Hacken zusammen, grüßte und antwortete: „Zu Befehl! Sie werden keinen von uns wiedersehen!“ 

In einem Staubwirbel jagten die Feldgeschütze nach vorne in die Dornacherstrasse. Schon beim Anreiten gibt es Tote. An die 30 Menschen und Pferde wälzten sich am Boden. Ein Chaos der Gespanne entstand, und doch gelang es, aus diesem Knäuel noch die Geschütze und Munitionswagen freizubekommen, die Protzen herauszuzerren und zurück zu führen. Dabei wurde der Oberleutnant Wankel tödlich getroffen. Hauptmann Heeres brachte noch fünf Geschütze neben dem des Ltn. Besser etwa 300 m vor den französischen Schützenlinien entfernt in Stellung. Er brüllte seine Kommandos in die Batterie und lies das Feuer auf die französischen Kolonnen und Schützenlinien eröffnen. Dann streckte ihn ein Kopfschuss nieder. Die Kanoniere schossen selbstständig weiter auf die anstürmenden Massen. Aber einer nach dem anderen wurde durch gut gezielte Schüsse umgelegt. Mann um Mann fiel. Leutnant Schilling, dessen 10. Kompanie in kürzester Zeit 120 Mann und alle Offiziere bis auf einen verlor,  musste mit ansehen, wie der letzte Mann der Batterie Heeres alleine ein Geschütz bediente, lud, richtete und abzog, bis auch er getroffen zu Boden sank. Leutnant Besser, der mit seinem sechsten Geschütz den Häusern am nächsten stand, und drei Mann seiner Bedienung überlebten wie durch ein Wunder diese Schreckensminuten.   

Das Durcheinander in der Gärten, die Vermischung der Verbände führte dazu, dass auch deutsche Truppen aufeinander schossen. Man versuchte, die isoliert kämpfenden, weit vorgeschobenen Einheiten etwas zurück zu nehmen. Das führte zu einer Massierung von Menschen in der Dornacher Straße, die sich fürchterlich auswirkte.

Um 10:30h lag eine ungeheuere Spannung über dem Kampffeld. Die Aufopferung der Batterie Heeres hatte nur kurze Zeit Entlastung gebracht. Dornach war um diese Stunde im Halbkreis von feindlichen Batterien umgeben. Die Lage wurde immer düsterer. Die Dornacher Straße lag unter dem Strichfeuer französischer Maschinengewehre. Weiter hinten, in einer Querstraße stand die Haubitz-Batterie Lenz, mitten zwischen den Häusern und jagte einige Schuss gegen den Illberg, auf dem der Gegner Fuß gefasst hatte. 
Verwundete wurden auf Bahren zurück gebracht. Erschöpft schleppten sich Männer mit durchblutetem Notverband alleine, oder aufeinander gestützt nach hinten, um Hilfe zu suchen. Ihre Gesichter waren totblaβ. Was konnten schon ein paar Sanitätssoldaten und Träger bei diesem Elend ausrichten. Oberstabsarzt Kolle hatte seinen Hauptverbandsplatz in einem Haus in der Nähe eingerichtet. Dorthin liefen die Verwundeten. Kolle fluchte fürchterlich, war schließlich Bakteriologe und Serologe, und nun sollte er hier Menschenglieder amputieren und Bauchschüsse operieren!

Die Lage wurde höchst beunruhigend, weil keine Nachrichten mehr von vorne durchkamen. Deshalb ritt Brigadeadjutant Ltn. Schirach nach vorne um für die Führung Klarheit zu schaffen. Es dauerte endlos lange, bis er zurück kam. Er meldete die Vernichtung der Batterie Heeres und sagte, dass es ganz unmöglich sei, da vorne weiterzukommen, wenn nicht Verstärkungen eingesetzt werden könnten. Aber das zunächst in Reserve gehaltene II. Bataillon der 110er hatte man schon an den linken Flügel neben dem III./L.I.R.40 eingesetzt, weil hier eine Umfassung durch frische französische Kräfte (35 R.I.) drohte.

Exzellenz Mathy hatte schon vorher nach dem III. Bataillon L.I.R. 110 ausgesandt und wartete verzweifelt auf dessen Ankunft. Endlich kamen zwei Kompanien des Bataillons angekeucht. Sie wurden sofort nach vorne dirigiert. Rasendes Infanterie- und Maschinengewehrfeuer schlug ihnen entgegen. Die Dornacher Straße lag im Dunst, es brannte an vielen Stellen; die Männer konnten nicht durchkommen. Vorne entstand eine Stockung. Schließlich flutete die ganze Masse der Männer in Staub gehüllt zurück. Unzählige fielen oder wurden verwundet. Von hinten drängten die nachrückenden, noch geordneten Kolonnen aber noch immer nach vorn, und so entstand in der Dornacher Straße unter schwerstem Maschinengewehr- und Artilleriefeuer ein grauenerregender Menschenknäuel. Der General lies nun das Signal „Angriff“ blasen, und weiß Gott, es wirkte. Die Männer machten kehrt und versuchten noch mal nach vorn durch zukommen. Mitten in der Menschenmasse war Exzellenz Mathy eingekeilt, der Helm war ihm vom Kopf gestoßen, sein weißes Haar leuchtete unter allen hervor. Unweit kämpfte sich Oberstleutnant Witter nach vorn. Die Verluste wurden immer schlimmer, zu gut lag das französische Strichfeuer, zu viele Schrapnells platzten direkt über den Häusern der Straße. Unteroffizier Killian (Anm.: Hans Killian wurde Weihnachten 1914 zum Leutnant befördert) aus Freiburg kam noch bis nahe dem Ortsausgang, wurde dann von dem erneut zurückflutenden Strudel erfasst und mitgerissen. Da knallte es plötzlich neben ihm, Blut spritzte in sein Gesicht. Sein Nebenmann hatte von hinten einen Kopfschuss erhalten, aus seiner Stirn brach ein Schwall Blut mit weißem Gehirn vermischt, sein Körper klatschte nach vorn zu Boden. 

Die Straße sah unbeschreiblich aus, viele Tote und Verwundete, Ausrüstungsgegenstände, verlorene Helme und Gewehre liegen herum. Der Platz vor der Apotheke, wo der Stab gehalten hatte, war leer. Versprengte Infanteristen sammelten sich hier. Auf einmal hörte man durch den Gefechtslärm kurz nach 12 Uhr verdächtigen Kanonendonner aus der Gegend von Lutterbach. Die Einschläge lagen weit hinten, und bald wird gemeldet, dass ein starker Angriff französischer Alpenjäger von Lutterbach her sich gegen die Flanke und den Rücken der Truppe bewegte. Diesem Stoß war die Brigade nicht mehr gewachsen. Die Verbände waren im Kampf viel zu sehr durcheinander gekommen, die Befehlsübermittlung war gestört, alle Reserven verbraucht und die Verluste furchtbar. Exzellenz Mathy gab unter dem Druck dieser Situation um 12:30h den Rückzugsbefehl. Man sollte sich sammeln und den Rückzug durch Mülhausen in Richtung Napoleonsinsel antreten. Leider erreichte dieser Befehl gerade die Tapfersten vorne auf der Höhe von Dornach und südlich der Straße nach Niedermorschweiler nicht mehr. So zog der letzte Rest der geschlagenen Brigade Mathy durch Mülhausen. Die Brigade entging knapp der vollständigen Einkreisung, während weit vorne noch immer zurück gebliebene Teile der Infanterie kämpften. Erst gegen 5 Uhr nachmittags verstummte allmählich der Gefechtslärm in den Gärten von Dornach. 
Gegen 18:00h trafen die letzten Männer aus Mülhausen an der Napoleonsinsel ein. Exzellenz Mathy, der vor Wut und Verzweiflung feuchte Augen hatte, gab den Befehl zum Weitermarsch in Richtung Eichwald und den Brückenkopf von Neuenburg. Unterwegs erreichte sie die Nachricht, dass auch die Nachbarbrigaden in derselben Nacht zurück gehen mussten."

Nun folgt der Bericht eines französischen Leutnants vom 42. Regiment:

"Wir gingen daran, den Deutschen mit zu unseren Gunsten vertauschten Rollen eine Neuauflage der ersten Schlacht bei Mülhausen zu bereiten. Nun war es an uns, zwei gegen einen zu sein, an uns, die Anhöhen zu erklimmen und einen beidseitigen Umfassungsversuch zu unternehmen. 
Im Augenblick, da unsere Vorhut, die Divisionsschwadron, das Bahngeleise überschreiten wollte, stieß sie auf feindliche Aufklärungsorgane. Sogleich wurde sie zurückgenommen und durch die Spitzenkompagnie ersetzt. Diese setzte sich bei der Häusergruppe von Zimmermann (1,5 km von Dornach) in Laufschritt, und es gelang ihr, die ersten deutschen Züge zurückzudrängen und rittlings der Straße binnen kurzem den Westrand von Dornach zu besetzen. Allein ebenfalls die Deutschen suchten im Laufschritt den Stützpunkt – das Dorf Dornach - zu erreichen, und sie vermochten auch, bis auf die Stelle, die wir hielten, den übrigen Dorfrand zu besetzen. Unsere drei anderen Kopagnien, oder was vom Bataillon übrig geblieben war, griffen unverzüglich an, eine rechts, d. h. südlich der Straße, die beiden anderen links gegen die Fabrik. Eine deutsche Batterie – man sieht, wie weit nach vorn sich ihre Artillerie bisweilen wagte – brachte es fertig, quer über dem Feldweg nördlich der Straße aufzufahren.

Dieses war die Lage im Augenblick, da unser Bataillon, das zweite, Niedermorschweiler verlieβ. Die mit uns marschierende Artillerie Abteilung hatte unsere Kolonne allerdings im Galopp bereits überholt und war, beidseitig der Straße in Stellung gegangen. Um 9 Uhr 15 eröffnete sie das Feuer auf den ganzen Dorfrand und bekämpfte auch die deutsche Batterie, sobald diese zum Vorschein kam.
Wir durchschritten den Weiler Zimmermann. In diesem Augenblicke gerieten wir unmittelbar ins Feuer der deutschen Batterie, weshalb sofort drei unserer Kompagnien gegen diese angesetzt wurden. Der Angriff durch Überflügelung gelang, allerdings unter blutigen Verlusten; schließlich aber nahmen wir die ganze Batterie gefangen.
Den deutschen Michel packten wir fest an der Kehle. Haus um Haus, um jedes Fußes Breite verteidigte er die Ortschaft. Das änderte den Gefechtscharakter. Ein fürchterlicher Straßenkampf entspann sich. Um den Widerstand zu verlängern, warfen die Deutschen in jede Villa, in jedes Haus 40 Mann mit dem Befehl, durchzuhalten.
Als ich Dornach betrat, stieß ich auf einen elektrisch geladenen langen Drahtzaun. „Nicht berühren, Herr Leutnant! Der Zaun steht unter Strom!“  Ich war so verblüfft und fand diese Tatsache so absonderlich, dass ich auch auf die Gefahr hin, getötet zu werden, den Zaun dennoch berührte. Dieser war zerbrochen, der Strom sehr schwach, aber elektrischer Strom war darin.
Auf einmal gerieten wir in die Flanke eines deutschen Halbzuges, der hinter einer Hecke feuerte. Mit eigener Hand machte ich einen bebrillten Oberleutnant zum Gefangenen und eignete mir, da ich den meinen verloren hatte, seinen Säbel an. Der Zwischenfall mit dem deutschen Halbzuge war der Anlass zu einer unsinnigen Schieβerei unsererseits, und mehr als 10 Minuten brauchte ich, um das Feuer, dessen Nutzlosigkeit augenscheinlich war, zum Schweigen zu bringen. Das war nichts anderes als die nervöse Reaktion der Angst, wie ich sie oftmals sich äußern sah. 
Nach dieser glücklichen Aktion, die uns einen schönen Geländegewinn gebracht hatte, organisierte ich von meinem Standorte in Dornach aus den Angriff methodisch und – welch’ ein Glück! – über ein kurzes gesellte sich mir ein Maschinengewehrzug und eine Kanone zu (...) jawohl, eine durch die Bedienungsmannschaft von Hand gezogene 75er Kanone! Geführt wurde sie durch den Batteriechef in eigener Person, und auf 200 Meter Entfernung folgte ein gelbgestreiftes, mit Melinitgranaten (Anm.: es handelt sich um einen hochexplosiven Sprengstoff auf Pikrinsäurebasis, somit um Brisanzgranaten) beladenes Caisson, das wie das Geschütz von Hand gezogen wurde. 
Und von 8 Uhr morgens bis zum Mittag konnten wir stetig vorrücken. 
Tsim, tsim! – Gewehrschüsse aus einem Hause! – Sogleich benachrichtige ich meinen Kameraden von der Artillerie, und nicht lange geht es – bum, badabum – so schmettern schon zwei Melinitgranaten die Villa in Trümmer. Mit aufgepflanztem Bajonett stürmen wir hinein und nehmen die erschreckten Deutschen gefangen. Ein Zug hinter uns nahm sie auf. Wir alleine machen deren 400 (...)."

Soweit der Bericht des französischen Leutnants vom 42 Regiment.

Nun noch ein kurzer Auszug aus dem Gefechtsbericht des französischen Generals Vautier (Kommandant des 7. Armeekorps) über diese Schlacht:

In diesem Bericht beklagte er sich über ungenügende Verbindung zwischen der 14. und 41. Division, sowie über ungenügende Zusammenarbeit. 
Während die 41. Division, verstärkt durch die gesamte Korpsartillerie, über Lutterbach und Pfastatt ihrem Marschziel Illzach zustrebte, ohne dem geringsten Widerstand zu begegnen, hatte ihre Nachbarin, die 14.  Division den ganzen, schweren Zusammenprall alleine auszuhalten gehabt. Der General schrieb:

„Die 41. Division sieht die 14. vor Dornach in heftige Kämpfe verstrickt, besitzt aber nicht die nötige Initiative, um ihr die im Rahmen der eigenen Aufgabe mögliche Hilfe zu bringen. Als es auf Anordnung des Korpskommandos geschieht, kommt sie zu spät und erst noch in ungenügendem Maβe“.

Tatsächlich, hätte die 41. Division, die noch vor Mittag Illzach erreicht hatte, durch eine einfache Wendung nach rechts die Stadt Mülhausen von Osten her umgangen, dann wäre das Schicksal der Brigade Mathy wohl entgültig besiegelt gewesen und alle Überlebenden den Franzosen in die Hände gefallen.

„Wie dem auch sei“, schließt General Vautier seinen Gefechtsbericht, "so darf doch anerkannt werden, dass das Gefecht durch den Kommandanten der 14. Division sehr energisch geführt wurde und der 28. Brigade, namentlich aber dem 42. Regiment, das am stärksten engagiert war, zur besonderen Ehre gereicht“.

Schon am Tag nach der Schlacht lies o.g. General nebenstehende Bekanntmachung in Mülhausen verteilen. Die Bekanntmachung ist in deutscher Sprache geschrieben, die Ortsangabe lautet aber schon auf „Niedermorschwiller“ und nicht mehr „Niedermorschweiler“.

Am 21. August 1914 erschienen die nächsten beiden Flugblätter:

"Bürgermeisteramt der Stadt Mülhausen
Bekanntmachung
Der Herr Divisionsgeneral beauftragt mich, der Bevölkerung von Mülhausen seinen Dank auszusprechen für die Ruhe und Ordnung, die bei dem Einzuge der französischen Truppen geherrscht haben. Ich ermahne die Bevölkerung auch weiterhin zur Ruhe und bitte von Kundgebungen und Versammlungen bei dem Durchzuge von Truppen nach wie vor Abstand zu nehmen. 
Mülhausen, den 21. August 1914.  Der Bürgermeister: i.V.: A. Wolff"

(Auf einem Flugblatt vom 3. August 1914 ist der Name „Cossmann“ als Bürgermeister von Mülhausen angegeben.)

"Bekanntmachung
Es wird hiermit zur allgemeinen Kenntnis gebracht, dass vom 22. August 1914 mittags 12 Uhr ab die Pariser Zeit eingeführt wird.
Mülhausen, den 21. August 1914  Das Bürgermeisteramt."

Die Geschichte des Landwehr Infanterie Regiment Nr. 110 sagt in ihrem Bericht über diese Schlacht:

"7:30 Uhr verlieβ LIR 110 (ohne III. und IV./110) Habsheim und marschierte über Rixheim nach Mülhausen hinein, um dort im Verband der Abteilung Mathy Anschluβ an LIR 40, das über Zimmersheim marschierte, zu finden. In der Stadt wurde dieser Anschluβ hinter der dem LIR 40 folgenden 1. Landw. Batt. XIV. AK hergestellt und die Kolonne zog singend durch die menschengefüllten Straßen dem südlichen Vorort Dornach zu. Die Haltung der Bevölkerung der großen Industriestadt war einwandfrei. Als die Truppe 9:30 Uhr die Dornacherstraße beim Bahnübergang passieren wollte, änderte sich das Bild, die Straßen Dornachs waren menschenleer, ein erster Schrapnellschuβ krepierte über der Spitze des Regiments am Gemeindehaus, weitere folgten sofort. LIR 40 versuchte sich am Ausgang von Dornach nach Niedermorschweiler zu entwickeln, erhielt aber schon aus den Häusern von allen Seiten lebhaftes Gewehrfeuer, in den Häusern kam es zum Handgemenge, am Ausgang Dornachs traf die vorkommenden Schützen stärkstes Artillerie- Infanterie- und MG-Feuer. Alle Anmarschstraßen wurden von der im Halbkreis um Dornach auf den Höhen postierten französischen Artillerie bestrichen. Die sehr schwierige Lage des LIR 40 machte sofortiges Eingreifen des LIR 110 notwendig. I./110 unter Major Maas wurde auf die Nachricht, dass im Nordwesten feindliche Infanterie von Lutterbach gegen Mülhausen vorgehe, gegen Lutterbach entfaltet, und zwar zuerst die 4. Kompanie unter Hauptmann Krauth zur Sicherung des Ausgangs nach Lutterbach an dem Nordwestausgang von Dornach entwickelt, dann ein Zug der 2. Kompanie unter Oberleutnant Berger rechts neben der 4. Kompanie in dem dortigen Fabrikgelände. Der Rest des I. Bataillons blieb auf dem Platz vor dem Gemeindehaus zur Sicherung des Eisenbahnübergangs – Schnittpunktes Belforter Straße.  
Von II./110 unter Major Glette wurden sechs Gruppen der 7. Kompanie unter Vizefeldwebel Holl nach dem Bahnhof von Mülhausen gegen feindliche Kavallerie abgezweigt, die als linke Flankendeckung das Bataillon begleiten sollten; in Dornach wurden weitere zwei Gruppen unter Leutnant Wörne nach dem nördlich gelegenen Wasserwerk zur Vertreibung einer feindlichen Feldwache abgeschickt; diese Gruppen haben dann längere Zeit im Kampf gegen sehr überlegene französische Infanterie gelegen. Der Rest der Kompanie kämpfte gemeinsam mit der 8. Kompanie, die unter Oberleutnant Zimpel beauftragt wurde, Höhe 291 zu nehmen, um den schweren Feldhaubitzen das Auffahren zu ermöglichen, und den Schutz der Batterie zu übernehmen. Als die 8. Komp. mit dem Rest der 7. Komp. aus den letzten Häusern in Richtung Illberg hinaustrat, wurde sie von heftigem Schrapnellfeuer aus der rechten Flanke überschüttet, nahm Front gegen die feindliche Artillerie, deren Stellung aber nicht erkannt werden konnte; bei weiterem Vorgehen erhielt sie auch im Rücken aus der Richtung Illberg Artilleriefeuer. Sie wurde hinter den Bahndamm zurückgenommen und lag im Kampf mit weit überlegenem Gegner bis zum Rückzugsbefehl. 
Die 5. Kompanie unter Hauptmann Eisele erhielt den Auftrag, als Bedeckung der Landwehrbatterie in westlicher Richtung vorzugehen. Hier ging die Kompanie unter sehr heftigem Geschütz- und Gewehrfeuer im Sturm gegen die feindliche Stellung vor. Oberleutnant Zopf erhielt den Auftrag, südlich hinter den Häusern vorzugehen und erreichte eine hinter der Stellung der Artillerie liegende Anhöhe, von der aus er die eigene Artillerie überschießen konnte. Tatkräftig unterstützt war er vom Vizefeldwebel d.R. Schneider. Bei sprungweisem Vorgehen wurde er tödlich verwundet. Die Kompanie hat sich so lange gehalten, bis der von der Führung gegebene Befehl zum Rückzug nach der Napoleonsinsel kam.
Auf die Meldung hin, dass französische Infanterie von Nordwesten her in einem rechts von der 5. Kompanie gelegenen Garten vordringe, erhielt die 6. Kompanie unter Hauptmann Knövenagel um 10:15 Uhr den Auftrag, diesen Gegner aus Dornach zu vertreiben. Um diesen Auftrag zu erfüllen, hat die Komp. unter sehr schweren Verlusten von diesem Garten aus gegen den stark überlegenen Gegner gekämpft, bis sie den Befehl erhalten hat, sich nach der Napoleonsinsel zurückzuziehen. In dem feindlichen Kreuzfeuer, in dem sich die Kompanie befand, fiel Oberleutnant Greber; Leutnant Hofner (Anm.: Der spätere Bürgermeister von Freiburg) wurde gefangen genommen.
Inzwischen war die 1. Landwehr-Batterie XIV. AK. unter feindlichem Feuer am Ausgang von Dornach nach Niedermorschweiler aufgefahren; sie konnte dies zunächst nur mit einem Geschütz erreichen; die anderen wurden erst später in Stellung gebracht und hatten schon beim Anfahren erhebliche Verluste. Die Batterie feuerte im Schutz der 5. Komp. LIR 110 solange, bis nur noch ein Offizier und ein Mann Besatzung übrig war und von diesen der letzte Schuss abgefeuert war.
Die Gefechtslage der Abteilung Mathy hatte sich gegen Mittag so gestaltet, dass an ein befehlsmäβiges Vordringen nach Westen nicht mehr zu denken war. LIR 40 sah sich sogar durch seine großen Verluste gezwungen, zurückzugehen. Der Rest des LIR 110 unter seinem Kommandeur Oberstleutnant Hüger versuchte noch einmal ein Vorwärtsstoßen zu erreichen. In den engen Gassen war die Truppe aber zusammengepfercht und erhielt von allen Seiten stärkstes Feuer. Als auch das Feuer unserer Artillerie ganz aufhörte, da die Batterie zusammengeschossen war, musste an geordneten Rückzug gedacht werden. III./110, das in den ersten Morgenstunden die Jägerkaserne in Verteidigungszustand gesetzt hatte, wurde gegen 11 Uhr dort abgerufen und zog im Eilmarsch durch die menschenleeren Strassen Mülhausens bis zur Nesslerschule, von wo dann in der Illniederung schon der Rückzug der deutschen Verbände zu sehen war. Es musste dann – anstatt sich links gegen den Illberg zu entwickeln – durch Mülhausen zurück und auf dem Schoffberg Aufnahmestellung beziehen. Die schwere Haubitzenbatterie ihrerseits nahm am Rand des Hardtwaldes hinter Habsheim Aufstellung, um den Rückmarsch zu decken.
Der Gesamtverlust des Regiments am 19. August betrug 3 Offiziere und 353 Mann; das waren zwölf Prozent des Bestandes, mit dem das Regiment in den Kampf eingetreten war."

Über die Truppenstärke und Verluste findet sich im Reichsarchiv folgende Angaben:

„In einer Stärke von nur 17 Bataillonen, dreieinhalb Eskadrons und zehn Batterien gelang es der Landwehr, eine feindliche Armee aufzuhalten, die, wie der Kampftag ergab, aus mindestens sechs Infanterie- und einer Kavallerie Division bestand. Bis zum nächsten Morgen gingen die Brigaden in ihre Ausgangsstellungen an den Rhein–Abschnitt von Neuenburg bis Hüningen zurück. Ihre Verluste betrugen über 2300 Mann.“

Quellen:
- Regimentsgeschichte des Landwehr Infanterie Regiment Nr. 110
- Hans Killian, Totentanz auf dem Hartmannsweiler Kopf
- A. Cerf: Der Krieg an der Juragrenze, 1930
- Der Weltkrieg, Reichsarchiv, 1925

 

Teil 3: Bericht von Hauptmann Wörne vom II. Bataillon des Landwehr Infanterie Regiments Nr. 110 über die Ereignisse vom 19. August 1914.

 

"Man hat mich aufgefordert, meine Erinnerungen an den 19. August 1914 niederzuschreiben. Zwei Jahre sind seit jenem Tage vorüber, aber ich kann mich an dieses erste kriegerische Ereignis unseres Regiments so deutlich erinnern, dass ich über jede Einzelheit heute noch Rechenschaft geben könnte.

Unser Bataillon war in der Nacht vom 13./14. Aug. nach Galfingen auf Vorposten geschickt worden, wohin am nächsten Tage auch die beiden anderen Bataillone des Regiments folgten. Mit einer Batterie wurde es dann am Morgen des nächsten Tages auf eine Höhe zwischen Niederspechbach und Illfurt vorgeschickt und musste Abends den beiden anderen Bataillonen über Mülhausen nach den Rheinbefestigungen folgen, wohin die Truppe vor anmarschierenden französischen Kräften zurückgenommen wurde. Ich befand mich an jenem Tage zum ersten Mal auf Patrouille und habe am Nachmittag vor Niederspechbach die ersten Franzosen dieses Feldzuges in Freiheit zu Gesicht bekommen. Das Bataillon erreichte ich mit meiner Patrouille erst bei einbrechender Nacht und unter strömendem Regen bei Grünhütte im Hardtwald wieder. Am 16. August bezogen wir in Steinenstadt, am Nachmittag des 17. August in Müllheim Ortsunterkunft. Schon am Abend wurde bekannt, dass am nächsten Vormittag wiederum der Vormarsch an den Rhein angetreten werde, und alles hatte das Gefühl, dass es dieses Mal ernst sein sollte.

Am frühen Morgen des 18. August überschritt das Regiment bei Neuenburg den Rhein. Vor der Rheinbrücke kurze Rast. Die Stimmung war trotz des schlechten Wetters ausgezeichnet. Der Flügelmann meines Zuges, Gefreiter Z. aus Furtwangen, hatte sich bei den Patrouillen und großen Märschen der vorhergehenden Tage wunde Füße gelaufen und kam schwer mit. „Na, Z.“ sagte ich ihm, „wenn’s nicht geht, so bleiben Sie heute bei der Bagage, vielleicht ist’s morgen besser“. Aber er antwortete: „Nein, wenn’s heute ernst werden soll, will ich dabei sein!“ Und so dachten die meisten.
Unser Marsch ging über Banzenheim durch den Hardtwald, östlich Habsheim Exerzierplatz vorbei über Habsheim, wo wir dicht unterhalb des Schoffberges mehrere Stunden in Bereitschaftsstellung lagen, Posten aufstellten und Patrouillen vorschickten. Am Nachmittag wurde das Regiment auf Habsheim zurückgenommen und Feldwachen ausgestellt. Das III/110 wurde nach Mülhausen vorgeschickt, ergriff Besitz von der Stadt und setzte sich in der Jägerkaserne fest.
Am 19. August vormittags 6 Uhr traten das II. und I./110 von Habsheim aus den Vormarsch auf Mülhausen an. Die 7/110 hatte die Marschsicherung, ich führte die Spitze. Beim Regimentskommandeur vorbeireitend frug ich: „Kann ich zu Pferde bleiben, Herr Oberstleutnant?“ Worauf er erwiderte: „Selbstverständlich! Sie werden schon selbst merken, wenn Sie absteigen müssen!“ So trat ich denn mit 3 Gruppen auf der großen Straße, die über Rixheim nach Mülhausen führt, an, über die 9 Tage vorher in der 1. Schlacht von Mülhausen mein altes Regiment (112) vom Habsheimer Platz her den Sturm auf die Höhen links der Straße, die die Franzosen besetzt hielten, siegreich vorgetragen hatte. 

Bald kam ich mir beinahe wie in der Friedensübung vor, als ich die wohlbekannte Straße vom Habsheimer Platz nach Mülhausen, die ich in schönen Friedenstagen so oft im Schweiße meines Angesichts marschiert war, dahin ritt und das Gefühl muss so stark gewesen sein, dass es einige Male der Mahnung meines damaligen Kompanieführers, Hauptmann M., bedurfte, dass ich die seitlichen Sicherungen auch in richtiger und kriegsgemäßer Weise ausschickte. 

Kurz vor Rixheim kam mir eine stärkere Dragoner- Patrouille entgegen, die ich um Nachrichten über den Feind ausfragte: sie war bis über Mülhausen vorgedrungen, hatte aber nichts vom Feinde bemerkt. So kamen wir unbehelligt nach Mülhausen und hier wurden die Sicherungen beim Marsch durch die Stadt schwierig und verursachten Aufenthalt. 

Schon in der Basler Strasse, wo die Spuren des Häuserkampfes vom 9. August noch deutlich zu sehen waren, kamen freundliche Warner an mich heran: „Herr Leutnant steigen Sie ab, die Franzosen sind in der Stadt“. Da von der Kavallerie keine Meldungen vorlagen, wurde weitermarschiert. Erst als links vorwärts in der Gegend des Hauptbahnhofes Schüsse krachten, stieg ich ab und lies mein Pferd zurückführen. Dort waren unsere Patrouillen auf französische Kavallerie gestoßen, die sich unter Hinterlassung einiger Verwundeten schnell zurückzog. 

Am Neu-Quartierplatz angekommen, machte das Regiment Halt und der Brigadekommandeur, der dort mit seinem Stab zu Pferde hielt, ließ zuerst das Regiment 40, das gleichzeitig mit uns aus der Richtung Zimmersheim eingetroffen war, vorbeimarschieren, setzte sich mit seinem Stabe hinter dieses Regiment; dahinter folgten wir. Unter brausenden Gesängen ging es durch Mülhausen die Franklin- und Dornacherstraße hinunter. Als der Brigade-Stab dicht vor der Bahnlinie Mülhausen-Colmar angekommen war, krepierte das erste Schrapnell dicht neben ihm und dem Regimentsstab, auch begann schon Infanteriefeuer und das Regiment 40 war, noch in den Häusern von Dornach steckend, schnell in ein heftiges Gefecht verwickelt; bald setzte auch ein starkes französisches Artilleriefeuer ein und die Schrapnells platzten über der in der Dornacherstraße haltenden Marschkolonne; indessen so hoch, dass sie wenig Schaden anrichteten.

Während sich vorne das Regiment 40 zum Gefecht entwickelte, kam ein Polizist in Zivil auf dem Rade zum Brigadekommandeur gefahren und überbrachte ihm die Meldung, dass das Wasserwerk an der Straße nach Lutterbach von einer französischen Feldwache besetzt sei. Ich erhielt darauf von Sr. Exzellenz, da ich der vorderste Offizier war, den Befehl, mit 4 Gruppen diese Feldwache auszuheben. Ich lies mich durch den Polizisten eine Strecke weit führen und ward alsbald des Wasserwerks, das mit einem hohen Staketenzaun umgeben war, gewahr. „Seitengewehr aufpflanzen, schwärmen marsch, marsch!“. Und schon waren wir innerhalb des Zaunes, ebenso schnell, wie die Franzosen auf der andern Seite heraus waren, ohne einen Schuss abgegeben zu haben. Diese hatten sich in ein benachbartes kleines Waldstück zurückgezogen und suchten offenbar ihre Kompanie zu erreichen. Zu sehen bekamen wir nichts mehr von ihnen. 

Dagegen zeigte sich auf der Bahnlinie herwärts Lutterbach feindliche Kavallerie, die wir mit Visier 1000 unter Feuer nahmen. Während einige der Reiter, wie wir deutlich sehen konnten von den Pferden fielen, zog sich der Rest in gestrecktem Galopp auf Lutterbach zurück. Da ich mich in dem Wasserwerk mit seinem hohen Zaun nicht sicher fühlte, auch keine Deckung hatte, zog ich mich mit meinen 30 Mann nach einem Straßendamm, der rechts der Strasse Dornach-Lutterbach sich weiter nach rechts hinzog und in einer großen Brücke über das Rangiergleis des Güterbahnhofs nach rückwärts führte. Hier fand ich gute Deckung und ausgezeichnetes Schussfeld nach vor- und rechts seitwärts. Die linke Flanke sicherte ich durch eine Patrouille unter einem Vizefeldwebel und 5 Mann, die unterwegs zu mir gestoßen war und die ich in das kleine Waldstück jenseits des Wasserwerks postierte.

Bald wurde es im Vorgelände lebendig. Während sich aus Lutterbach heraus schwache französische Kräfte im Laufschritt entwickelten, ritt auf dem vor uns liegenden weiten Wiesenplan ein französischer Infanterieoffizier nach verschiedenen Punkten des Vorgeländes, wo er offenbar seine Wachen sammelte. Denn es war uns Gelegenheit gegeben auf schwächere feindliche Trupps, die sich in geringer Entfernung da und dort zeigten, lebhaft zu feuern und ihnen Verluste beizubringen. 

Während ich mich am rechten Flügel meiner Abteilung befand, der am höchsten lag und wo man daher die beste Übersicht hatte, erhielten wir plötzlich nach einstündigem Feuergefecht Schüsse aus der linken Flanke, aus eben dem Wäldchen, in das ich meine linke Flankendeckung gestellt hatte. Ich eilte zu meinem linken Flügel und musste mit Schrecken gewahr werden, dass sich die Seitenpatrouille vor den vorrückenden Franzosen auf meinen linken Flügel zurückgezogen hatte, ohne dass ich davon Kenntnis erhielt. Lange Zeit zum Fragen war nicht, denn das Flankenfeuer wurde stärker. Ich beschloss daher mich zurückzuziehen und ungefähr 200 Meter dahinter vor den Gärten der letzten Häuser von Dornach eine neue Stellung einzunehmen. Gleichzeitig schickte ich Meldung mit der Bitte um Unterstützung an mein Bataillon. 

An diesen kurzen Rückzug denke ich mit ganz besonderer Freude; denn er wurde so ruhig und exerziermäßig vollzogen, wie wir es im Frieden gelernt hatten. Kein Mann durfte laufen und trotz des heftigen Feuers, das wir auf nahe Entfernung von vorne und aus der Flanke erhielten, fiel kein Mann bis dicht vor der Stellung, die wir in einem Wassergraben hart am Dorfrande einnahmen. 

Dort fiel als erster der Unteroffizier F. unmittelbar vor der Besetzung des Grabens, durch die Lunge geschossen, an meiner Seite nieder; wir konnten ihn aber noch zu uns in den Graben hereinziehen. Wir nahmen nun das Feuergefecht wieder auf und setzten es wohl eine Stunde lang fort, wurden aber von den näher rückenden französischen Schützen hart bedrängt und erhielten starkes Feuer. Von links her hörten wir das heftige Infanteriegefecht der Brigade, die sich aus Dornach heraus zu entwickeln suchte; wie es dort stand konnten wir nicht erfahren, kümmerten uns auch wenig darum und dachten nur an das nächstliegende. Als der Gegner weiter vorgedrungen war, so dass er unseren Graben, der völlig gerade und nur von der Straße Dornach – Lutterbach mitten durchschnitten war, nach rechts hin auch keinerlei Beobachtung ermöglichte, von der linken Seite bestreichen konnte, war auch diese Stellung nicht mehr zu halten und ich zog es vor, da keinerlei Meldung oder Unterstützung eintrafen, mich zurückzuziehen und eine neue Verteidigungsstellung hinter und in den rückwärts liegenden Häusern zu suchen. 

Der Rückzug war schwierig auszuführen, da hinter uns eiserne Gartengeländer waren; wir mussten uns also auf der Straße zusammenziehen und von dort im Laufschritt zurückeilen. Ich zog meine Leute im Graben gedeckt dicht an die Straße heran, dann sprangen wir auf ein Kommando auf, stürzten in die Straße hinein und deckten uns hinter die ersten Häuser. Die Verwundeten mussten wir liegen lassen, nur den Unteroffizier F. gelang es mir trotz seiner schweren Verwundung mitzunehmen, indem ich ihn unter dem einen Arme, ein Kamerad unter dem anderen Arme packte. Das Feuer, das uns die Franzosen nachschickten, als wir uns auf der Straße zusammenballten, werde ich nie vergessen. Indessen schossen sie in der Aufregung viel zu hoch, und ich glaube nicht, dass dort noch einer meiner Leute gefallen ist. 

Nach wenig Schritten stießen wir auf einen Zug des I./110, der zu meiner Unterstützung heraneilte und der einen rechts rückwärts von meiner 1. und rechts seitwärts von meiner zweiten Stellung liegenden Straßendamm unmittelbar hinter den Gleisen des Rangier-Bahnhofs besetzte und das Feuergefecht aufnahm. Ich ging mit meiner Abteilung rechts seitwärts zur Verlängerung dieser Schützenlinie wieder vor und erhielt bald, wie es mir schien, aus einem rechts vor uns liegenden Fabrikgebäude lebhaftes Feuer, in dem auch einige Leute fielen. Ich drang in die Fabrik ein, die wir aber resultatlos durchsuchten und bezog mit meinen Leuten und einigen Versprengten vom Regiment 40, die ich unterwegs aufgelesen hatte, eine neue Stellung hinter den an der Bahn aufgeschütteten Kiesbänken. Links vor uns lag ein großes Fabrikgebäude, das die Franzosen besetzt hielten und aus dem sie uns stark beschossen, rechts vor uns ein weiter Wiesenplan, der etwa in 1000 Meter Entfernung zu den Höhen vor Pfastatt und westlich Burzweiler anstieg. 

Hier war von den Franzosen noch nichts zu sehen; nur in halber Höhe vor dem Dorfe Pfastatt sah ich einen französischen Posten unter einem Nussbaum lange hin und her gehen. Bald wurde es aber auch auf den Pfastatter Höhen lebendig. 
Zuerst bemerkte ich unmittelbar vor dem Kirchturm Pfastatt berittene Offiziere. Ganz deutlich konnte ich durch mein Glas die blaue Uniform der französischen Artillerie erkennen, die hier offenbar in Stellung gehen sollte. Meine Vermutung bestätigte sich nur zu bald; denn binnen kurzem setzte lebhaftes Schrapnellfeuer ein, das uns aber keinen Schaden zufügte. Hinter uns tobte aus der Richtung Dornach her der lebhafte Gefechtslärm fort. 

Nachdem wir ungefähr eine Stunde gelegen und das aus der Fabrik kommende feindliche Feuer erwidert hatten, begann sich auf der ganzen Linie der Pfastatt – Burzweiler Höhen eine mächtige Schützenlinie bergabwärts gegen uns in Bewegung zu setzen; in 100 Meter Abstand folgte ihr eine zweite. Der feindliche Flügel überragte uns, die wir am rechten Flügel der Brigade lagen, um gut 1000 Meter und reichte bis dicht an die Strasse Mülhausen – Burzweiler heran. Wir eröffneten indessen auch auf diesen neuen Gegner unser Feuer und hielten uns, bis die feindliche Schützenlinie nahe der Bahnlinie vorgedrungen war. 

Dann befahl ich den Rückzug auf Mülhausen und gewann auch ohne größere Verluste, gedeckt durch Häuser und Bäume, den Rand der Stadt. Bei der gebotenen Eile geriet ich auf dem Rückzug in einen Wassertümpel, der dicht mit grünem Moose bedeckt war und den ich daher nicht bemerkt hatte; er war sehr tief und ich lag bis zur Brust in dem Sumpf, aber meine Leute zogen mich wieder heraus. Das erste war, als wir in Deckung waren, dass ich mich auf den Boden legte und mir die Beine hochheben ließ, damit das Wasser aus meinen Stiefeln wieder heraus laufen konnte. Aber der weitere Rückzug in der nassen Fußbekleidung wurde durch diesen Zwischenfall auch nicht angenehmer.

Seit meiner Trennung von meinem Bataillon war dieses zur Unterstützung der hart bedrängten 40er nach Dornach hinein und links davon entwickelt worden. Rechts in der Richtung des Dornacher Rebbergs die 6., links davon Richtung Friedhof Dornach die 5., weiter links davon Richtung Illberg die 8., mit den Resten meiner, der 7. Kompanie. Aber auch hier war es nicht gelungen, den Gegner, der in vielfacher Übermacht auf den Höhen stand, mit überlegenen artilleristischen Kräften und mit Maschinengewehren ausgestattet war, zu werfen, obwohl ihm schwere Verluste zugefügt wurden. 

Als ich mit meiner Truppe nach Mülhausen kam, war der Befehl zum Rückzug bereits gegeben und die Regimenter hatten die Stadt schon verlassen, es war 4 Uhr nachmittags und wir waren seit 10 Uhr im Kampf gestanden. Eine große Anzahl Versprengter, die ich in den Strassen und Höfen noch antraf, zog ich an mich heran und konnte in der Colmarerstrasse eine Marschkolonne von etwa 300 Mann aus beiden Regimentern aufstellen und ordnen. 
In diesem Augenblick kam der neue Kommandeur des Regiments 40 zu mir herangeritten und ließ sich über die Gefechtslage orientieren. Er konnte es nicht glauben, dass wir uns zurückziehen mussten und wollte versuchen, nochmals zum Angriff vorzugehen. Meine Bedenken, dass wir keine Artillerie, und viele meiner Leute keine Munition mehr hätten, wollte er zuerst nicht gelten lassen und verlangte, dass ich Patrouillen gegen Dornach und Burzweiler ausschickte, die feststellen sollten, wieweit der Gegner vorgedrungen war. Als diese nach wenigen Minuten zurückkehrten, da sie schon innerhalb der Stadt beschossen worden waren, ordnete Herr Oberst K. den Rückzug an und führte uns als letzte deutsche Truppen um 5 Uhr abends aus Mülhausen über Rixheim nach Ottmarsheim. 

Ein Versuch, den ich mit den vom Regiment 110 vorhandenen und mir übergebenen 120 Leuten unternahm, von Rixheim aus die Strasse Napoleonsinsel – Banzenheim zu gewinnen, misslang, da französische Kavallerie schon über Mülhausen vorgedrungen war und den Kanal und die Ringbahn besetzt hatte. Am weiteren Vordringen wurde sie durch das I. Bataillon verhindert, das unter dem Regimentskommandeur bei Napoleonsinsel stand und bis zum Abend den Eingang in den Hardtwald besetzt hielt. So zog ich denn mit den 40ern über Ottmarsheim und traf abends bei einbrechender Nacht in den Rheinbefestigungen bei Eichwald1 ein, wo ich mich bei dem anwesenden Regimentskommandeur melden konnte. Auch mein Bataillonskommandeur war eingetroffen, aber vom Bataillon war das, was ich zurückbrachte, der einzige Rest, ungefähr 80 Mann von der 5. und 40 bis 50 Mann von den 3 anderen Kompanien. Mit ihnen und dem Regiment 40, das bereits eingetroffen war, besetzten wir in der Nacht und am nächsten Tag die Rheinbefestigungen und zogen uns am übernächsten Tage über den Rhein zurück. 

Die Franzosen waren uns nicht gefolgt, nur einzelne Kavallerie- Patrouillen waren bis diesseits des Hardtwaldes durchgestoßen und wurden durch unsere Patrouillen vertrieben. Wir kamen nach Schliengen ins Quartier und als ich am Morgen des 21. August als Quartiermacher dem Regiment voraus dahin ritt, stieß ich unterwegs auf die noch fehlenden Teile der 7. und 8. Kompanie, die mit dem III./110 am Abend des 19. August eine Aufnahmestellung auf dem Schoffberg bei Habsheim bezogen hatten und dann der Abteilung „Dame“, die bei Flachslanden gekämpft hatte, auf den Brubacher Höhen zur Verfügung gestellt worden waren. Sie waren bei Istein über den Rhein gekommen und konnten sich nun in Schliengen mit dem Bataillon wieder vereinigen. 250 Mann des Bataillons kehrten indessen nicht wieder, sie waren teils gefallen und verwundet, teils gefangen.

So endete das 1. Zusammentreffen der badischen Landwehrregimenter mit dem Feinde. Als aber wenige Tage nachher das Telegramm unseres Kaisers verlesen wurde, das den Landwehrtruppen seinen kaiserlichen Dank für ihr tapferes Verhalten aussprach und zum Ausdruck brachte, dass das strategische Resultat, die Verhinderung des Gegners, ins Elsass vorzudringen, trotz des scheinbaren Misserfolgs durch die Stosskraft der Landwehr dennoch erreicht worden sei, da herrschte bei uns wieder zuversichtliche Freude."

 

Teil 4: Tagebuch von Landwehrmann Johannes Krafft

 

Der Autor beschreibt hier seine Kriegserlebnisse ab dem 1. August bis zum 10. Dezember 1914. Nachfolgend auszugsweise seine Erlebnisse von der Mobilmachung in Mannheim bis zu seinem Aufenthalt im Hospital Hasenrain in Mülhausen. Die Verwundung, welche zur Hospitalisation im Hasenrain führte, erlitt er in der zweiten Schlacht bei Mülhausen – Dornach am 19. August 1914.
Am 11. August fuhr das Landwehr Regiment von Mannheim über Freiburg nach Haltingen. Von dort wurde nach Lörrach marschiert. Die Schiffsbrücke bei Istein wurde am frühen Morgen des 13. August passiert. 

"Kilometerweit sind alle Bäume gefällt und alles Gestrüpp niedergehauen. Zum Teil, damit die Artillerie ein freies Schussfeld hat, zum Teil aber auch als Wehre für uns und als Hindernisse für die Feinde. Überall sind auch mächtig tiefe Schützengräben, die noch viel weiter ausgebaut werden sollen (...).
Augenblicklich liegen wir in einem endlos langen Wald. Wir sind zwei Stunden darin herummarschiert, aber immer ist noch kein Ende abzusehen. Der Marsch war sehr hastig. Es hat viele Schlappe gegeben. Deshalb sollen wir an dieser Stelle auch zwei Stunden rasten. Herr des Himmels, wie viele Fußkranke es gibt! Wir wissen jetzt, dass unser Ziel Mülhausen ist (...).
Eben sind auf dem Habsheimer Exerzierplatz Flieger aufgestiegen. Wir begrüßen sie mit donnerndem Hurra. Zum ersten Male sehen wir die großen schwarzen Kreuze auf den Tragflächen, das Wahrzeichen und Kennzeichen unserer deutschen Flieger. 

Endlich, endlich in Mülhausen! Wir haben viel länger zu dem Weg von Habsheim hierher gebraucht, weil wir häufig unterwegs halten mussten. Eine ganze kriegsstarke Division ist uns entgegengekommen. Oft in drei Kolonnen auf der Landstraße nebeneinander Artillerie, Infanterie und Kavallerie, oder auch Artillerie- und Infanteriekolonnen und unendlich viel Bagage. Wir mussten wiederholt auf das freie Feld herausgehen. Auch das war mit viel Unannehmlichkeiten verknüpft, denn überall in dieser Gegend, wo der Kampf so heftig getobt hat, sind von Granaten riesengroße Löcher gerissen. Neben der Landstraße liegen auf weiten Strecken auch der im Gefecht heruntergerissene Draht der Telefonleitungen. 
In Mülhausen war es bei unserem Einrücken vollständig stockfinster. Es hat etwas Unheimliches, in einer großen Stadt zu marschieren und nirgend Licht zu sehen. In der völligen Dunkelheit haben wir schließlich sogar noch ein verkehrtes Ziel erwischt. Wir marschierten in eine Fabrik hinein, die im ersten Augenblick für die Schule gehalten wurde, in der wir vorläufig Quartier haben sollten. Nach fünf Minuten zogen wir unter Fluchen wieder hinaus."

Am andern Tag wurde wieder marschiert, zunächst Richtung Illfurt, dann wieder durch den Hardtwald nach Ottmarsheim und schließlich nach Neuenburg. Am 18. August ging es wieder durch den Hardtwald in Richtung Mülhausen. 

"Wir liegen angriffsbereit in dem fürchterlich großen Wald, den wir nun schon zweimal nach allen Richtungen in der Länge und Breite durchquert haben."

Dann ging es weiter auf die Höhen hinter Habsheim wo Stellung bezogen wird und wo alle halbe Stunde Patrouillen ausgesandt werden.

"Alle Straßen nach Mülhausen, dessen Türme in der klaren Luft wie greifbar nahe zu uns herüberschauen, sind von uns ständig bewacht. Das wenig übersichtliche Gelände in der Richtung nach dem Feind soll in der Nacht ganz besonders scharf aufgeklärt werden. Der Höhenrand, auf dem wir liegen, soll von uns im Falle eines Angriffs unter allen Umständen gehalten werden. 
19. August 1914
Als wir dieses Mal in Mülhausen einrückten, war es fast heller Mittag. Die Sonne brannte drückend heiß auf uns herab. Bald waren wir in einem Stadtteil, der schon vorortsmäβig aussah. Plötzlich fiel ein Schuss in gar nicht großer Entfernung wie ein Peitschenknall. Der Hauptmann kam angesprengt wie ein Gewitter: „Seitengewehr pflanzt auf. Ohne Tritt marsch. Der Feind ist in Dornach und Niedermorschweiler in großen Massen. Wir greifen an.“ 
Es ging über eine Brücke und dann waren wir in Dornach. Vor uns begann ein Knallen, das schließlich in ein richtiges Rattern überging. Klirren und Splitter von eingeschlagenen Türen und Fenstern schallten herüber. Alle Türen in Dornach waren geschlossen. Alle Fenster mit dichten Läden bedeckt. In einem Hause wurden plötzlich die Fensterläden wenig über handbreit gelüftet. Gewehrläufe blinkten auf. Feuerschlangen zischten heraus. Schüsse, Schreie der ersten Getroffenen. Wir stießen und traten die Türen ein, stürmten in die Häuser, und da fiel mir ein Mensch mit blutüberströmtem Gesicht und schon halbverglasten Augen fast um den Hals. Der erste schrecklich Sterbende, den ich gesehen habe. Im Fall hat er mich über und über mit seinem Blut besudelt. Der Geruch war so unerträglich, dass ich den gerollten Mantel, der sich ganz voll Blut gesogen hatte, weggeworfen habe."

Beim weiteren Vorgehen erhielten sie starkes Maschinengewehrfeuer. Sie fanden Deckung in einer Sandkuhle. 

"Einige, die auf dem Rand der Sandkuhle zur Beobachtung lagen, riefen: „Unsere Leute hinter uns ziehen sich zurück, aber vorn liegt noch eine Schützenlinie, die rührt sich noch nicht.“ Unser Major, der auch in die Sandkuhle mit hinein geraten war, rief uns zu: Wir wollen unsere Kameraden da vorn nicht im Stich lassen.“ 
Wir stürzten vor in die vordere Linie hinein. Wir sollten eine fürchterliche Entdeckung machen. Diese Schützenlinie, rund 150 Mann, die anscheinend hier vorn ruhig liegen geblieben war, bestand nur aus Toten. Sie waren Opfer feindlicher Maschinengewehre. Alle hatten Kopfschüsse, einen oder mehrere.
Nach kurzer Zeit erhielten wir aber auch Feuer von der feindlichen Artillerie, und schnell und sicher schoβ sie sich ein. Schrapnells explodierten prasselnd über uns und heulend sausten die Granaten über uns weg und kamen immer näher an uns heran. Maschinengewehre wurden wieder gegen uns ins Feuer gebracht. Furchtbare Augenblicke hindurch sausten die Kugeln in schrecklichem Gleichtakt über unsere Köpfe hinweg, kommen tiefer, immer tiefer, waren nur noch wenige Zentimeter über uns, da kam der Befehl, uns möglichst in Deckung nach einem Schuppen der elektrischen Straßenbahn, der vermutlich für Arbeitswagen da draußen gebaut ist, langsam zu sammeln. 
Wir waren etwa noch 120 Mann unverwundeter Leute. Der Major war noch bei uns. Als wir noch 20 Schritt von dem Schuppen entfernt waren, mussten wir über eine freie Fläche, und da bekamen wir wieder ein hageldichtes Maschinengewehrfeuer aus den Häusern. Es war unmöglich, in den Schuppen zu kommen. Die Kameraden vor uns fielen von vielen Kugeln durchbohrt. Springend und kriechend erreichten wir ein Haus, das nach dem Kampfgelände am weitesten vorgeschoben war. Ein Arbeiterhaus an einem Bahndamm. Im Nu hatten wir den Garten zu einer Verteidigungsstellung eingerichtet. Von drei Seiten erhielten wir hier Feuer, und nach drei Seiten verteilten wir unsere Kräfte. Die feindlichen Schützenschwärme waren auf 300 Meter herangekommen. Hier und da gab es Streifschüsse. 
Einmal haben wir geschossen wie wahnsinnig, nicht gezielt, den Kolben auf die Brust gesetzt. Nur hingehalten. Das waren wenige Minuten, als die Franzosen kolonnenweise in einer Entfernung von 200 Meter eine leichte Anhöhe herabstiegen. Sie scheuten aber keine Opfer. Immer neue Kräfte setzten sie ein, und schließlich lagen sie auf der einen Seite hinter einem Straßenrande in einer Entfernung von kaum 100 Meter.
Und nun trafen sie. Nun erst schauten wir den sicheren Tod. Er forderte Zug um Zug seine Opfer. Fleischwunden zählten nicht. Wer als Verwundeter das Gewehr noch halten konnte, schoss weiter.
Dieses war aber die furchtbare Minute, in der das große Sterben unter uns begann. Zuerst fiel mein Nachbar zur Linken. Ich sah, wie ihm Tränen aus den Augen traten und sich langsam mit dem rinnenden Schweiß auf seinen Wangen vermischten. In diesem Augenblick sagte er: „Meine Frau! Meine....“ da flog ihm ein Stück seines Schädels von der Schläfe weg. Er sank in sich zusammen ohne einen Laut, als ob er müde wäre.

Der Major rief zu dieser Zeit: „Ruhig weiter schießen, Kameraden! Wer fällt, ist als Held gestorben; hat einen guten Soldatentod gefunden!“ Später: „Schießt! Schießt, Leute! Sonst schlagen sie uns tot wie tolle Hunde.“
Die Ziele, die uns die Franzosen boten, waren jetzt unheimlich klar und groß. Das Schrecklichste war, dass wir deutlich sehen konnten, wie dem oder dem da drüben das Blut aus dem Kopf schoss, wie der eine oder der andere der Gegner drüben mit einem Schrei die Hände über dem Kopf hochhob und sich nach hinten überschlug. 
Der Kamerad zu meiner Rechten stöhnte auf einmal laut auf. Er hatte mehrere Schüsse in kurzer Folge durch den Leib erhalten. Ich durfte mich nicht um ihn kümmern.
Plötzlich war es mir, als ob eine Eisenhand sich um meinen rechten Oberarm legte und ihn zurückhielt, umklammerte und von dem Gewehrkolben abriss. Matt fiel meine Hand herab. Ich fühlte, wie etwas Warmes langsam meinen Arm herablief. Es war Blut, das jetzt auf mein Knie träufelte. Da wusste ich, dass es mein Blut war, dass ich in den rechten Oberarm getroffen war. 
Zehn, zwölf Mann waren noch am Leben. Ihr schwaches Feuer machte den Gegner mutig. Er verließ seine Deckung und wagte einen Sprung. 
Jetzt durfte ich die flehentlichen Bitten des Kameraden rechts von mir erfüllen. Ich schleppte ihn ins Haus und gab ihm zu trinken. Er verlangte nur immer wieder wild nach Wasser, Wasser. Ich hatte ihn in die gute Stube des Häuschens getragen. Ein Kamerad stieß die Tür auf und rief: „Kameraden, wir müssen euch alleine lassen. Wir sind kaum noch ein Dutzend; die Franzosen kommen zu Hunderten. Der Major ist verwundet.“
Dann hörten wir grimmiges Gebrüll. Das waren die Franzosen, die auf den Garten und das Haus losstürmten. Das Trappeln und Stampfen von Hunderten von Läufern, das Klirren und Klappern von Ausrüstungsgegenständen tönte herein. Schüsse fielen, knatterten gegen die Türen, klirrten durch die Fenster. Plötzlich eine atemlose, fürchterliche Stille....
Wir Verwundeten lagen in der Stube auf dem Boden, gegen Sicht gedeckt. Mein Blick fiel im Liegen auf ein Klavier, das da an der Wand stand. „Merkwürdig,“ dachte ich, „es ist unversehrt.“ Da hörten wir schleichende Schritte im Hausgange. Ob das schon die Franzosen waren! Nein, es war ein deutscher Unteroffizier. Scheu blickte er uns an, als wollte er sich entschuldigen. Er sagte auch: „Raus kann ich nicht mehr. Und allein kann ich die Gesellschaft doch nicht wegjagen.“ 
„Komm hier her und hilf uns,“ sagte ich ihm.
Er wollte die Tür schließen. Ich hielt ihn davon ab. „Mensch, dann müssen die da draußen doch denken, hier versteckt sich jemand, der noch kämpfen will.“
„Das ist wahr“.
„Sieh zu, ob du nicht irgendeinen Zettel findest, dann schreibe ich auf französisch darauf „Verwundete“. Den kannst du an die Haustür backen.“
Er hatte Papier und Bleistift bei sich und las mit, während ich schrieb: „Blessés.“
In demselben Augenblicke fast schienen sich seine Haare zu sträuben von dem, was er im Knien sah. Ich folgte seinem Blick, und da sah ich durch das Stubenfenster blitzende Bajonette und erhitzte Köpfe unter blauen Käppis mit unruhig funkelnden Augen. 
Jetzt entschlossen die da draußen sich, in das Haus hinein zugehen. Das war ja nicht schwer; alle Türen und Fenster standen sperrweit auf. Die Vorderen zögerten. Hatten sie Angst? Die Hinteren drängten. Hatten sie Mut? Jetzt lasen die Vorderen den Zettel. Man hört, wie zwanzig, dreißig Stimmen sagen „Blessés“. Wie auf Kommando kamen sie nun hereingestürzt mit gesenktem Bajonett. Wollten sie uns töten? Meine linke Hand umklammerte meinen guten Browning in der Tasche. Sicher hätte er zwei bis drei der Leute mitgenommen, wenn sie an uns Wehrlosen ihre Wut ausgelassen hätten. Drohend rief ich ihnen zu: „Pas tirer! Nous sommes des blessés! Pas tuer!“ Und hielt meinen blutüberströmten Arm empor.

Die Eindringenden waren überrascht. Sie stutzten. Da lag ein Deutscher, der sie in der Muttersprache anredete. Trotz der Gefahr hatte ich doch ein deutliches Gefühl für das Komische der Situation und rief dem Nächststehenden, einem kleinen schwarzen Burschen, der vor Staunen den Mund aufriss, zu: „Sentez! C’est du sang!“
Da waren die Herren abgelenkt. Einer nach dem anderen sagte: „C’est bien!“ Und dann drängten sie sich gegenseitig hinaus.
Bald aber kam ein Haufen anderer hinein. Wir wussten bald warum. Sie hatten ihre Arbeit eben im Garten erledigt an den Toten und wollten sie an uns Lebenden nun fortsetzen. Und ihre Arbeit bestand darin, unsere Taschen zu durchwühlen. Rücksichtslos fielen sie über uns her. Das erste, was sie entdeckten, war meine Browning. Sehnsuchtsvoll folgte ihm mein Blick! Ein ganz schlauer hatte gesehen, dass ich die linke Hand in der linken Tasche hatte und sagte es. Große Aufregung. Sie versuchten, den Browning in meiner Richtung abzudrücken; sie verstanden aber den Mechanismus nicht. Einer wollte besser damit Bescheid wissen als der andere. Die Waffe wanderte von Hand zu Hand. Schließlich nahm sie einer durch das Stubenfenster draußen in Empfang, und wieder einmal war ich gerettet.
Jetzt trat ein Unteroffizier an das Fenster. „Verwundete?“
Ich antwortete: „Man sieht’s.“
Er zeigte mit dem Finger auf mein gutes Fernglas, das mir noch um den Hals hing. Eine Sekunde später ist er der Besitzer. Von dem übrigen Inhalt meiner Taschen waren die Herrschaften nicht sehr erbaut. Mein Brotbeutel entschädigte aber die Suchenden. Dann ertönten draußen Kommandorufe. Die Gäste verschwanden. Aber bald stürzte ein neuer Schwarm herein. Einer unternehmungslustig:
„Sind hier noch Deutsche im Keller oder auf dem Boden?“
„Nein!“
Da polterten sie hinaus, ballerten zwanzig, dreißig, vierzig Schüsse die Kellertreppe hinunter und wagten sich doch nicht hinein. Dann verschwanden sie und es war einen Augenblick ruhig. 
Plötzlich erschien jemand am Fenster. Ein Offizier.
„Wer spricht hier französisch?“
„Ich!“
„Wo sind deine Kameraden?“
„Gefallen!“
„Wollen Sie mir nicht sagen, wo sie geblieben sind?“
„Sie sind tot oder verwundet.“
„Das sind höchstens hundert. Wo sind die anderen, die an dieser Stelle gekämpft haben?“
„An dieser Stelle sind wir nur hundert gewesen.“
„Teufel auch! Ihr seid hier nur hundert Mann gewesen?“
„Ungefähr ja!“
„Sie sind an der Hand verwundet, und was hat der, der da liegt?“
„Bauchschüsse.“
„Was hat der dahinten denn?“
„Das ist unser Krankenpfleger.“
„Ist er verwundet?“
Keine Antwort.
„Er soll rauskommen.“
Ich sage zu ihm: „Du sollst gehen, Kamerad. Man wird dich gefangen nehmen. Gehe es dir gut! Leb wohl!“

Bald näherten sich wieder Schritte. Diesmal waren es aber drei Männer mit weißen Mützen und dem roten Kreuz. Deutsche! Hilfebringende Deutsche! Das war uns, als wären wir von neuem geboren. Mit freundlichen, beruhigenden Worten kamen sie herein. Ich hatte das Gefühl, ein Kind zu sein, das sich wehgetan hat und von einer unendlich gütigen Mutter getröstet wird.
Als ich verbunden war, bin ich noch einmal in den Garten zurückgegangen, habe nur einen Blick hineingeworfen. Da lagen meine Kameraden und schienen zu schlafen, aber ihre Gesichter waren so bleich, und dicke rotschwarze Linien kreuz und quer entstellten das Gesicht vieler. Das war geronnenes Blut. Bei manchem sickerte es noch leise nach. Vor Schmerz und Trauer wollte ich umsinken und erschrak fast, als jemand die Hand auf meinen Rücken legte und mich mit sich zog. Es war ein Sanitäter. Voraus trugen die anderen beiden den Kameraden mit den Bauchschüssen. Er ist bald darauf gestorben. 
Auf dem Wege nach dem Krankenauto, das auf der kaum 100 Meter entfernten Landstraße mit einem Anhängewagen hielt, sah ich noch zwei der Kameraden, die mit uns gekämpft und dann versucht hatten, den Rückweg zu gewinnen. Im Laufe waren sie tödlich getroffen und nahmen im Liegen noch die Stellung ein wie eilig davon hastende. Sie waren bleich und tot.
Als ich auf dem Anhängewagen Platz gefunden hatte, war das Auto mit verwundeten deutschen und französischen Soldaten voll geladen. Die Fahrt ging durch Mülhausen bis wir in einem Park ankamen. Wir kamen in das Hospital Hasenrain in Mülhausen."

Das Tagebuch und die Beschreibung des Aufenthalts im  Hospital Hasenrain in Mülhausen wird im Bericht Das Hospital Hasenrain in Mülhausen fortgesetzt.

Am 13. Nov. in der Gegend von Ypern erhält Krafft bei einem Sturmangriff einen Schuss durch beide Oberschenkel. Lange liegt er schwer verletzt in einem Schafstall bevor ihn Kameraden zurückbringen. In diesem Stall bekam er Besuch von einem Hund:

„Da sah ich, dass es ein halbverhungerter, dreckiger Schäferhund ist. Mit gesträubten Haaren duckte er sich und stürzte dann auf mich los. Verbiss sich in mein rechtes wundes Bein. Mit unendlicher Mühe habe ich ihn erwürgt. Ein Glück, dass der Köter vom Hunger noch geschwächter war als ich von meinem Blutverlust!"

Dann kam er in ein Feldlazarett in Flandern, beide Beine mussten amputiert werden. Als er transportfähig war, wurde er nach Deutschland verlegt, wo er aber bald seinen Verletzungen erlag.

Einem Kameraden hatte er vor seinem Tod noch gesagt:

"Das Ereignis, in dessen Mitte wir stehen, ist so gewaltig, so überragend, dass wir uns sein Bild doch nur aus Einzelbildern mosaikartig zusammensetzen müssen. Ich glaube, dass ich in meinem Tagebuch und in meinen Briefen unbewusst ein Teilschicksal in dem wogenden Meer unerhörter Ereignisse gestaltet habe, das kennen zu lernen wertvoll ist."

Dieser Kamerad sorgte dafür, dass sein Tagebuch noch 1915 veröffentlicht wurde.