Enschingen - Brünighofen
Die zwei kleinen Dörfer Enschingen und Brünighofen bilden heute die Ortschaft Saint-Bernard. Die vorderste deutsche Linie zog sich südlich der Ortschaften hin, die erste französische Linie folgte in diesem Bereich dem südlichen Kanalufer. Dazwischen im Niemandsland als natürliches Hindernis das Flüsschen Larg, umgeben von feuchten, teils sumpfigen Wiesen. Einige Ereignisse welche sich hier abspielten, wollen wir auf diesen Seiten wiedergeben. Von einem Regiment, das im Frühjahr 1915 aus den Vogesen in den Sundgau verlegt wurde, erfahren wir:

"Von den Hochvogesen in den Sundgau, vom hochgipfligen Gebirge in die leicht gewellte, flache Ebene, vom Wald in das freie Land: ein gewaltiger Gegensatz! Jedem Soldaten kam er deutlich zum Bewusstsein, als am 5. März sich die Nebel über der neuen Stellung hoben, in die man in tiefer Nacht eingerückt war. Da gab es fast keinen durch Berg und Wald gedeckten Anmarsch mehr zu der ersten Linie; denn weithin lagen flache Kornäcker, von Bäumen dünnbesäte Wiesen, leichtes Buschwerk, sanfte Bachmulden dem Auge des Feindes offen da. Nur die reichen Bauerndörfer, von einem Kranz von fruchtbaren Obstgärten malerisch umgeben, Niederburnhaupt (Anm.: heute Burnhaupt-le-Bas) am rechten, Enschingen, Brünighofen, Ober- und Niederspechbach (Anm.: heute Spechbach-le-Bas) am linken Flügel, Ammerzweiler (Anm.: heute Ammerzwiller) und Bernweiler in der Mitte, gewährten mit ihrer geschlossenen Bauart einige Deckung gegen Sicht.
So galt es nun – ganz anders als in den Vogesen, wo man, gleich hinter der nächsten Kuppe vom Feinde geschützt, sich frei bewegen konnte – sich an endlos lange Lauf- und Schützengräben, an tiefe, in die Erde eingewühlte Unterstände, an das öde Grabenleben zu gewöhnen, das dem Auge nur der Erde monotones Braun und des Himmels Blau und Grau zum Schauen bot. Statt Gebirgskampf nun der Erdkampf in der flachen Ebene!"
Unternehmen gegen Schleuse 27
Man wollte die französische Vorpostenstellung bei der Schleuse 27 ausheben, d.h. die Stellung zerstören und Gefangene machen. Ein schwieriges Unternehmen, da man unmittelbar vor der feindlichen Stellung den Rhein-Rhone-Kanal überqueren musste. Dazu wurde die neuaufgestellte Sturmkompanie befehligt. Die Kompanie war im Zillisheimer Priesterseminar untergebracht, als Übungsplatz diente zunächst der Britzgyberg bei Zillisheim.
Um den Übergang über den Kanal zu ermöglichen, wurde eine sogenannte Schnellbrücke aus einfachem Holzgerüst mit schmalem Laufbrett konstruiert; sie setzte sich aus drei Teilen zusammen, die durch Stricke miteinander verbunden waren und schwamm auf mit Stroh gefüllten, wasserdicht verschlossenen Zeltbahnbündeln.

Bei den vorher in der Nähe des Dorfes Zillisheim am Rhein-Rhonekanal vorgenommenen Übungen klappte das Übersetzen der Mannschaft gut. Nur das Vorschleppen der schweren Brücke schien bedenklich, da es zu sehr ermüdete, woraus unter Umständen Nachteile entstehen konnten.
Der Stoßtrupp bestand aus 27 Mann. In zwei Wagen rückte die Patrouillenmannschaft an die Front ab und schon an einem der nächsten Abende, am 9. November 1916, begann drüben bei Brünighofen eine heftige Kanonade, von deren Erschütterung im Zillisheimer Seminar Türen und Fenster erbebten. Die Daheimgebliebenen standen lange vor ihren Quartieren, lauschten dem Geschützdonner und verfolgten das Spiel der Leuchtkugeln und Signalraketen am nächtlichen Horizont. Und so manchen beschlich ein banges Gefühl, als er an die Kameraden dachte, die um diese Stunde sich zum Angriff bereitstellten.
Über den Ausgang des Unternehmens sollte man nicht lange im Unklaren sein. Kaum war das Feuer an der Front abgeflaut, meldete das Telefon in der Kompanieschreibstube die ersten Einzelheiten über den Verlauf. Es wurde mitgeteilt, daß der Stoßtrupp mit 11 Gefangenen und einem französischen Maschinengewehr zurück gekehrt sei. Vermisst werde niemand mehr, jedoch sei Leutnant Ullrich, der Führer des Stoßtrupps, im Nahkampf in der französischen Stellung so schwer verwundet worden, daß wenig Hoffnung bestünde, ihn am Leben zu erhalten. Banzhaff und Lappe hätten den Bewusstlosen aus dem feindlichen Graben geborgen und ihn über den Kanal bis in den Sanitätsunterstand der Sturmausgangsstellung zurück getragen. Das Maschinengewehr habe Philipp Stetter erbeutet.
Leutnant Ullrich verstarb während des Transports ins Feldlazarett.
Persönlicher Bericht eines Teilnehmers des Stoßtrupps, Ludwig Hörauf:
"In einem Unterstand an der Hauptstraße von Brünighofen warten wir auf den Befehl zum Aufbruch. Auch ein Pionierleutnant ist da mit einigen Pionieren, die uns für die Überbrückung des Kanals mitgegeben werden. Die Brücke liegt bereits draußen im Vorgelände. Seit Einbruch der Dunkelheit, eine halbe Stunde etwa, kracht es drüben im Schönholz – zur Täuschung natürlich – und jetzt fängt’s auch bei uns an. Die Minenwerfer und Grabengeschütze schießen, was aus dem Lauf geht.
Wir machen uns allmählich fertig, setzen den Stahlhelm auf, verstauen Pistolen und Handgranaten. Dann ist es Zeit! Zur festgesetzten Minute verlassen wir, einer hinter dem anderen, den Unterstand, steigen aus dem Graben. Tiefe Finsternis! Hie und da dringt der Schein einer in den Nachbarabschnitten aufgelassenen Leuchtkugel zu uns herüber, was sehr angenehm ist, weil wir dadurch wenigstens einigermaßen auf den rechten Weg kommen. Die Häuserruinen des Dorfes nehmen sich gespenstig aus in dieser Beleuchtung.

Am Rhein Rhône Kanal
Im Gänsemarsch geht’s durchs Drahtverhau – ein Steg führt über die Larg, die Hochwasser hat. Wohl ist der Steg überschwemmt, aber er erfüllt noch seinen Zweck. Was tut’s, daß wir bis an die Knie ins Wasser kommen. Vor uns, in einer Entfernung von etwa 700 Metern, fährt Blitz auf Blitz aus der Erde: Die Artillerie- und Minenvorbereitung ist in vollem Gange. Wir freuen uns der schönen Einschläge und vielen Leuchtkugeln, die die Franzosen in ihrer Angst da und dort abschießen.
Das Zwischenfeld – Wiesengelände – ist zum Teil unter Wasser. Durch manche Lache müssen wir hindurch, bis wir an das Gebüsch kommen, in dem unsere Brücke versteckt ist. Hier, inmitten des Niemandlandes, ein kurzer Halt! Rasch wir der Steg hervorgezogen und dann stellt sich jeder an seinen Platz; ganz wie bei den Übungen. Mittlerweile hat sich das Wirkungsfeuer mehr und mehr gesteigert, die Abschüsse und Einschläge folgen rasend schnell aufeinander, Splitter und Zünder pfeifen durch die Luft. Ein Höllenspektakel! Wenn es nur klappt mit der Rückverlegung des Feuers. Eine kurze Auseinandersetzung zwischen Leutnant Ullrich und dem Pionieroffizier, die sich wegen des Zeitpunkts des Vorgehens noch nicht ganz einig zu sein scheinen und die Brücke wird aufgenommen, der Haufen setzt sich in Marsch. Gut, daß es dunkel ist! Später allerdings war uns dies weniger angenehm, als wir drüben in der französischen Stellung bis auf ein paar Schritte an die bereits alarmierte Grabenbesatzung herankamen, ohne sie zu sehen.
Während wir den schweren Steg nach vorne schleppen, steigen an der Kanalschleuse gelbe Signalraketen auf, die hoch in der Luft in unzählige kleine Sternlein zerfallen. Hat man uns bemerkt? Wir sind ein wenig beunruhigt, gehen aber unaufhaltsam weiter. Es scheint ein Hilferuf gewesen zu sein – ein Zeichen für die französische Artillerie.

Trupp der Sturmkompanie St. Batl. 16
Schon sind wir im Bereich der Splitterwirkung, ein Stahlhelm klirrt, Leuchtkugeln zischen rechts von uns an Schleuse 26 empor; doch erreichen wir unbeschadet das Ufer. Hohe Bäume, Schilfgras am Rande der Wasserfläche: es ist das gleiche Bild wie am Kanal bei Zillisheim. Unsere Artillerie schießt Salven, Minen bersten, keine 40 Meter mehr sind die Einschläge von uns entfernt.
Die Brücke wird zurechtgelegt und ins Wasser gestoßen, sie schwimmt ganz vorzüglich, zwei Pioniere sitzen vorne drauf, um sie drüben zu verankern. Und derweil liegen wir am Ufer und warten. Unaufhörlich zucken die Blitze der schweren Detonationen über den Wasserspiegel – es sind Augenblicke atemloser Spannung. Endlich kann das Übersetzen über den Kanal beginnen. Leutnant Ullrich geht sogleich über die Brücke, die Pioniere sind bereits am anderen Ufer. Damit die Schwankung nicht zu groß wird, soll Abstand gehalten werden. Ich dränge vor und komme alsbald aufs Laufbrett; es ist alles in Ordnung, nur muss man etwas balancieren, um bei den starken Stößen, die sich hin und wieder bemerkbar machen, nicht über Bord zu fallen.
Wie ich glücklich so ungefähr in der Mitte des Kanals angelangt bin, knallt es auf einmal vom jenseitigen Ufer auf uns los. Gewehrschüsse! Wie sich später herausstellte, waren wir von einem französischen Doppelposten bemerkt worden, der zwischen Schleuse 26 und 27 patrouillierte. Schnell springe ich vollends hinüber und mache bereits im Laufen eine Handgranate frei.
Drüben Spanische Reiter an dem steilen Ufer – Drahtverhau. Die Pioniere arbeiten hastig mit den Drahtscheren, Leutnant Ullrich und ich werfen Handgranaten und als die Pioniere die Spanischen Reiter auseinander gezerrt haben, schlüpfen wir hindurch, steigen über ein schmales Hindernis und bemerken zwei Franzosen, die sich aus einer Bodenmulde erheben; sie halten die Hände empor, wir geben sie nach rückwärts. Zwei Gefangene! Ein guter Anfang!

Die Patrouillenleute sind noch lange nicht alle da. Einer nach dem anderen kommt an! Das Übersetzen auf dem schmalen Laufbrett nimmt Zeit in Anspruch. Flüche! Drastische Zurufe! Die Trupps finden sich nicht bei dieser Dunkelheit. Das Durcheinander ist fertig, die ganze Einteilung fällt über den Haufen. In der französischen Stellung Hupensignale – Alarm!
Leutnant Ullrich machte der Verwirrung dadurch ein Ende, daß es das Zeichen zum Losbruch gab. Wir scharten uns um ihn und gingen seitwärts am Kanalufer vor, ein kleines Häuflein von 5 oder 6 Mann, dem auch der Pionierleutnant sich angeschlossen hatte, der eigentlich als Hüter der Brücke hätte zurückbleiben sollen. Granateinschläge waren an der Schleuse nicht mehr zu erkennen; das Feuer musste also bereits verlegt sein.
Wir springen über eine Pfütze und finden schließlich einen Knüppelweg, der uns in die Schleusenstellung hineinführt, just auf einen Unterstand zu, in dem ein Licht brennt. Ohne Zögern machen wir uns heran und stimmen unser übliches Kriegsgeheul an. „Rendez-vous!“ Aber nichts zeigt sich; schon will einer von uns in den Unterstand hinab steigen, um Nachschau zu halten, da krachen Schüsse, und zwar in solcher Nähe, daß man meint, das Mündungsfeuer schlage einem direkt in die Augen. Jetzt wussten wir, wo die Franzosen zu suchen waren: sie standen unmittelbar vor uns, an der am Kanalufer aufgebauten Barrikade.
Zunächst waren wir wohl etwas verblüfft über diesen Empfang, doch den Franzosen dürfte es genau so gegangen sein. Das hatten sie sicher nicht erwartet, daß wir uns bereits in der Stellung befänden und von rückwärts auf sie zukommen würden; sonst wären sie nicht an der Barrikade postiert gewesen, deren Schießscharten sich dem Kanal zu gegen die deutsche Stellung richteten.
Handgranaten flogen hinüber, Gramm, der neben mir stand, riss sein Gewehr herunter und schoss wütend drauf los. Dazwischen brüllten wir unausgesetzt unsern Kriegsruf. Es war ein erbitterter Kampf, der nur wenige Minuten dauerte und von den paar Stürmern, die daran beteiligt waren, mit unheimlicher Energie durchgeführt wurde. Entschieden hat ihn eigentlich eine Explosion, die in dem Unterstand sich ereignete, an dem wir uns befanden. Es muss da einer der Unseren im Eifer eine Handgranate hinein geworfen und damit Munition zur Entzündung gebracht haben. Jedenfalls tat es einen ungeheuren Schlag, so daß man fast glauben konnte, die ganze Stellung sei in die Luft gegangen. Das Licht im Unterstand war erloschen und aus dem Eingang quoll eine dicke Rauchwolke. Kein Schuss fiel mehr!
Als wir merkten, daß die Franzosen von der Barrikade verschwunden waren, machten wir uns sofort an die Durchsuchung der Stellung. Der Pionierleutnant war zu dieser Zeit noch bei uns; er hatte eine Verwundung am Kopf, weshalb wir ihm rieten, zurück zu gehen und sich verbinden zu lassen. Sonderbar ist es, daß keinem von uns auffiel, daß Leutnant Ullrich von da an fehlte. Banzhaff fand ihn, wie wir später erfuhren, schwer verwundet am Boden liegend. Ich kann mich entsinnen, daß ich ihn, als wir an den Unterstand kamen, noch rufen hörte.
Wir gingen nun behutsam um eine Schulterwehr herum und näherten uns dem Schleusenhaus, an dem scheinbar der Sammelplatz der Franzosen war. Dort hatte sich ein ganzer Haufen – meiner Schätzung nach müssen es zwanzig bis dreißig Mann gewesen sein – zusammen gerottet. Wir schossen nicht, sondern riefen ihnen zu, sich zu ergeben. Bald merkten wir, daß hier kein Widerstand mehr zu erwarten war und einige Augenblicke später standen wir mitten unter den Franzosen; sie waren total verstört und gaben sich willenlos gefangen. Einer von ihnen drückte mir, ein paar Worte stammelnd, sein Gewehr in die Hand. Ich hing es mir unwillkürlich um. Es ist das einzige Beutestück, das ich von diesem nächtlichen Streifzug mit nach Haus gebracht habe.
Inzwischen waren die übrigen Trupps aufgerückt. Die Gefangenen, von denen bei der herrschenden Finsternis wohl die meisten wieder entkommen sind, wurden abgeführt, worauf die gründliche Ausräumung der Stellungsabschnitte ihren Anfang nahm. Philipp Stetter entdeckte dabei in einem M.G.-Stand ein Maschinengewehr, das bereits abmontiert und versteckt worden war. Ich sah ihn mit dem Gewehr auf der Achsel an mir vorüberziehen. Den Abtransport der Gefangenen hatte Fritz Schöner übernommen.
Wie ich nun auf eigene Rechnung einen Abstecher hinters Schleusenhaus mache und glaube, hier in einer noch unerforschten Gegend zu sein, treffe ich auf Pollack und Gramm, die dort nach Minenwerfern, Maschinengewehren und dergleichen suchen. Wir halten kurz Kriegsrat und beschließen, noch weiter in die Stellung hinein zugehen. Nachdem wir um einige Schulterwehren herum sind, finden wir einen Stollen, aus dem auf unser Geschrei hin drei Franzosen heraus kommen, die ich sogleich abführe, um sie dem Nächstbesten zum Rücktransport zu übergeben; Gramm und Polack durchsuchen derweil den Stollen.
Ich lies die Franzosen voraus gehen und lief mit der Pistole in der Hand hinterdrein. Eben hatten wir wieder eine Schulterwehr passiert, als es mir vorkam, wie wenn das Marschtempo immer langsamer würde. Und siehe da, wie ich vollends herum bin, erblicke ich richtig nur noch einen Franzmann. Die anderen zwei: spurlos verschwunden. Es ärgerte mich natürlich sehr, daß ich mich so hatte übertölpeln lassen, zumal ich jetzt auch merkte, daß mich die Gefangenen irregeleitet hatten. Der Graben, in dem ich war, führte bestimmt nicht dahin, wo ich hin wollte. Ich machte also kehrt und ging mit dem einen Franzosen den Weg zurück, den ich gekommen war.
In der Nähe des Schleusenhauses stieß ich wieder auf Pollack und Gramm. Es mochte unterdessen ungefähr eine Viertelstunde vergangen sein. Die beiden hatten weiter nichts gefunden und glaubten, daß die übrige französische Besatzung längst nach der zweiten Linie ausgerückt sei. Auf unsere Rufe bekamen wir von nirgendsher Antwort und so nahmen wir an, daß von den Unseren niemand mehr da sein könne; wir mussten uns etwas verspätet haben.
Die französische Artillerie fing zu schießen an und gleich darauf setzte von rückwärts ein Maschinengewehr ein. Wir hielten die Zeit des Gegenstoßes für gekommen und waren uns einig darüber, daß es jetzt galt, so schnell wie möglich zu verduften. Nur wussten wir nicht wie, da der Weg zu unserer Brücke durch das ganze französische Vorwerk geführt hätte und es zudem fraglich gewesen wäre, ob der Steg noch intakt war. Pollack machte den Vorschlag, über die Steinbrücke zu gehen, die beim Schleusenhaus über den Kanal führte. Wir hatten aber keine Zeit mehr, lange zu überlegen. Mit ein paar Sprüngen waren wir dort und kletterten über eine Sandsackmauer, die die Brücke absperrte. Daß der gefangene Franzose, den ich immer noch bei mir hatte, willig folgte, beruhigte uns; es war ein Beweis dafür, daß keine Minen gelegt sein konnten. Vorsichtshalber ließen wir ihn vorausgehen.
Dichtes Drahtverhau bedeckte die Brücke und es bedurfte äußerster Anstrengung, darüber hinweg zu kommen. Wie lange wir dazu brauchten, weiß ich nicht; ich hörte nur, daß Gramm einen Freudenjauchzer tat, als wir endlich im Vorgelände standen. Und dann steuerten wir in strammem Lauf – unserem Franzmann ging dabei fast die Puste aus – der deutschen Stellung zu. Als wir drüben ankamen, sagte man uns, daß Leutnant Ullrich im Sanitätsunterstand im Sterben liege.
In zwei Wagen wurden wir eine halbe Stunde später nach Zillisheim zurück befördert. Die Patrouillenmannschaft gab an einem der nächsten Tage ihrem inzwischen verstorbenen Führer das letzte Geleit. Auch die Regimentsmusik nahm an dem Trauerzug teil, der sich vom Hasenrainspital aus zum Bahnhof Mülhausen bewegte, auf dem der Tote nach einer kurzen Trauerfeier in einen Eisenbahnwagen verbracht wurde, um in die Heimat überführt zu werden."

Leutnant Gustav Ullrich liegt auf dem Waldfriedhof in Stuttgart begraben. Er wurde keine 19 Jahre alt.
In der Regimentsgeschichte der 2. Landwehr-Pionier-Kompanie des Pionier Bataillon 13 wird diese Begebenheit etwas anders dargestellt:
"Am 10. November 1916 machte Leutnant Schlecht mit Unteroffizier Seibert und den Pionieren Meck, Greiner, Schmalacker, Krebs und Heusel eine gut gelungene Unternehmung gegen Schleuse 27 am Rhein-Rhone-Kanal, die 10 Gefangene einbrachte. Leutnant Schlecht wurde dabei leicht verwundet."
Mit keinem Wort wird erwähnt, daß für dieses Unternehmen ein Sturmtrupp des Sturm-Bataillon 16 angefordert und eingesetzt wurde. Nach der Schilderung der Pioniere müsste man vielmehr davon ausgehen, daß die Pioniere diesen Einsatz alleine durchgeführt haben. Daß der eigene Leutnant leicht verwundet wurde wird erwähnt, daß jedoch ein Kamerad dabei sein Leben lies, findet keine Beachtung.
Das zeigt einmal mehr, daß die Verfasser dieser Texte vor allem das Positive ihrer eigenen Einheit in den Vordergrund stellten. Beim Studium der einschlägigen Literatur darf diese Tatsache nicht vergessen werden.
Kirchturmsprengungen und -beschießungen
Da die Kirchtürme in Frontnähe sich hervorragend zur Artillerie-Beobachtung eigneten wurden sie gesprengt, falls der Gegner sie nicht schon zerschossen hatte. (Anm.: Kirchtürme stellten nicht nur hervorragende Beobachtungsposten für die eigenen vorgeschobenen Artilleriebeobachter dar, sondern auch hervorragende Landmarken für die gegnerische Artillerie, um sich einzuschießen; GR)

Sprengung des Enschinger Kirchturms
Am 6. Mai 1915 wurde der Kirchturm von Bernweiler mit schwerer Artillerie beschossen. Der Turm war ein hervorragender Beobachtungspunkt für Infanterie und Artillerie. Die Franzosen waren gut eingeschossen. Trotz der spitzen Form des Kirchturms gelang es ihnen, mehrere Volltreffer ins Ziel zu bringen, so daß der Beobachter nur knapp dem Tod entging. Dasselbe Schicksal erlitten Turm und Kirche von Brünighofen.

Bernweiler: Beschuss am 6. Mai 1915
Am 22. Juni 1915 zerschoss eine deutsche Batterie den Kirchturm von Balschweiler, auf dem sich nachweislich Maschinengewehre und Artilleriebeobachter befunden haben. Darauf bedachte der Feind die Enschinger Kirche mit fünfzig 15 cm Granaten.