Das Hospital Hasenrain in Mülhausen 1914 - Aus dem Kriegstagebuch des Johannes Krafft.

Wie schon aus dem Bericht Die zweite Schlacht bei Mülhausen - Dornach, 19. August 1914 bekannt, wurde Krafft bei der Zweiten Schlacht von Mülhausen bei Dornach verwundet und kam in das Hospital Hasenrain. Das Krankenhaus existiert auch heute noch. Wir wollen hier einen Teil des Tagebuches wiedergeben, damit dieser alte Text nicht verloren geht und in Vergessenheit gerät. 

Nach seiner Ankunft im Hospital wurde Krafft ärztlich untersucht, ausgekleidet und bekam ein Vollbad.

"Wie das gut tat nach dem Gefecht, nach der Nacht auf Vorpostendienst, nach den vielen Marschtagen durch Sonne und Staub, Regen und Dreck. Nach einer halben Stunde schon lag ich in meinem Bett. Trinken, trinken, trinken! Das war das Einzige, was wir nun alle wollten. Erstaunt kosteten wir ein mit Orangensaft durchsetztes Mineralwasser, und schlürften es mit vollen Zügen. Dann bekamen wir sogar Milch! Sonderbar! Seit Wochen hatten wir ja keinen Tropfen Milch zu sehen bekommen. Wie hinter einem dichten Flor sah ich freundlich lächelnde Schwestern mit mächtigen weißen Schürzen und hohen weißen Hauben. Dann bin ich eingeschlafen.
Heute habe ich schon viel zu viel geschrieben. Das geht so langsam und ist so schwer. Die wuchtigen Eindrücke sind noch so unverarbeitet. Ich bin aber furchtbar müde. Und wenn die Schwester Marie-Ernestine heute auch wieder nicht zufrieden mit mir sein wird, ich kann von den guten Sachen, die sie gebracht hat, nichts mehr essen. Ich bin zu müde.

22. August 1914: Gestern nachmittag hatten wir hohen Besuch, der General Vautier war hier. Er ist der Sieger vom 19. August. Wir glaubten erst, er sei ein Arzt, der miserabel gekleidete Mann, der fast greisenhaft gebeugt, klappernden Schrittes in den Saal trat. Es war aber der Divisionskommandeur Vautier. Der General sprach übrigens gut deutsch. Verschiedene Kameraden hat er gefragt, zu welchem Regiment sie gehören und bei welcher Gelegenheit sie ihre Verletzung erhalten haben. Er hinterließ einen freundlichen Eindruck, dieser General. 
Herr Vautier markierte den Sieg auch in der Öffentlichkeit. Mülhausen wird als französische Stadt betrachtet. Die französische Fahne flattert über dem Rathaus. Alle Uhren sollen um 55 Minuten zurückgestellt werden, Pariser Zeit. Die Bürgerwehr Mühlhausens darf nicht mehr ihre rot-weißen Armbinden tragen. Herr Vautier hat blau-weiße befohlen. 

Heute habe ich der Schwester Marie-Ernestine aber nicht den geringsten Kummer gemacht. Das reichliche Essen, das uns auch heute wieder vorgesetzt wurde, habe ich bis zum letzten Bissen verzehrt. Ich wundere mich nur immer, wie es möglich ist, dass wir Fleisch, Milch, Gemüse und anderes immer so reichlich bekommen können, oder eigentlich ich wundere mich nicht mehr darüber, denn ich kenne ja den Leiter dieses großen Krankenhauses. Herr Professor ist nicht nur ein guter Chirurg und herzensguter Mensch, sondern er ist ebenso sehr ein vortrefflicher Organisator, und es will etwas heißen, dass er es fertig bringt, seine Kranken so vollständig und abwechslungsreich zu ernähren. 

23. August: Heute ist es Sonntag. Mit dem molligen Gefühl der Sicherheit recke und strecke ich mich auf dem seltsam weichen Bett des Krankenhauses. Man glaubt gar nicht mehr an eine so außerordentlich bequeme Schlafgelegenheit, wenn man viele Tage auf Stroh in den zugigen Scheunen, oder in der freien Natur, oder auf kaltem, nassem Boden verbringen musste. Die Tage sind mir bis jetzt wie im Traum verstrichen. Wie ein Dämmern lag es über meiner Seele. 
Eigentlich habe ich nicht viel gesagt zu den Vorgängen der Umwelt. Nur so dahin vegetiert. Aufgeschreckt durch grausige Phantasiebilder, oder auch durch einen wirklichen Gewehrschuβ. Diese einzelnen Schüsse! Sie peitschen die Nerven mehr auf, als das ganze Getöse eines hitzigen Gefechtes.
Gestern morgen allerdings in aller Frühe ratterten und prasselten sie auf, als ob ein größerer Zusammenstoß eingeleitet würde. Wer von uns aufstehen konnte, ist sofort ans Fenster gesprungen. Wir glaubten in der ersten Aufregung, dass unsere Kameraden zu unserer Befreiung herbeikämen. Es war aber nur ein Flieger! Ein deutscher Flieger, der zunächst ganz hoch in der Luft hielt, dann aber langsam, langsam immer tiefer herabstieg und sich nicht im geringsten um das Maschinengewehr- und Schützenfeuer der Franzosen zu kümmern schien. Mit größter Ruhe vollendete er seine Beobachtung und ist bald wieder aufgestiegen und unseren Blicken entschwunden. 
Als der Professor heute morgen zum Besuch kam, hat er mir erlaubt aufzustehen, und ich bin draußen gewesen und habe Kameraden vom 19. August gesucht. Ich habe aber nicht viele gefunden. Von meiner Kompagnie ist überhaupt nur einer da, ein Gefreiter aus der 2. Korporalschaft, der durch die Hand geschossen ist und den ich ganz gut kenne. Auch er freute sich, mich zu sehen. Unser Major ist hier auch untergebracht, er liegt in der Offiziers-Abteilung. 

Ich bin im Garten umher spaziert und lernte viele gute Kameraden von anderen Regimentern kennen, die schon länger hier sind und die in den Tagen vom 8. bis 10. August verwundet wurden. Alle erzählen gerne und ausführlich von ihren Schlachten, alle bedauern aber, auch ich lebhaft, dass wir hier in dieser französischen Herrschaft gar keine deutschen Zeitungen bekommen. Die Mülhauser Zeitungen wagen natürlich garnichts zu berichten, was für die Deutschen irgendwie günstig aussieht. Sie bringen nur Havas- und Reutermeldungen, und die sind so unbedingt günstig für die Franzosen, dass wir uns gar nicht so recht darauf verlassen. In diesen Mitteilungen wird ein über das anderemal betont, dass die Franzosen in ganz kurzer Zeit an dem Rhein sein würden und dass die Russen spätestens Ende des Monats in Berlin sein werden.

Die Leute draußen im Garten wussten überhaupt viel mehr von den Vorgängen, die sich in der Stadt abspielten. Die Franzosen haben im Laufe des Tages mindestens zwei Armeekorps durch die Gegend geführt mit der Marschrichtung auf den Rhein, und sie haben auch gewaltige Belagerungsgeschütze von Belfort herangeschafft. Zwei sollen mit 16 Pferden bespannt gewesen sein, eins musste sogar von 20 Pferden gezogen werden. Sie sollen dem Rhein gegenüber in Stellung gebracht werden zur Beschießung des Istein. Auf dem Isteiner Klotz wird man sich dieser Gegnerschaft wohl mit besonderer Wärme annehmen.

Am 19. August hat das Haus schwer gelitten, und die Kranken und Verwundeten wurden erheblich beunruhigt. Vier französische Schrapnells und Granaten sind auf dem Gebiet des Hospitals explodiert und haben starken Schaden angerichtet. Von einem Pavillon ist ein großer Teil des Dachstuhls abgedeckt, anderer Pavillon hat überhaupt geräumt werden müssen. Hier ist ein französisches Schrapnell durchgeschlagen, durch den ganzen Raum gefahren, hat den Ofen zerstört, aber glücklicherweise nur einem einzigen der hier liegenden Verwundeten, einem französischen Fähnrich, eine Kopfwunde beigebracht. Fluchtartig haben die Verwundeten in die Kellerräume geschafft werden müssen. 

24. August: Die Franzosen haben Mülhausen verlassen. Das erzählt uns der Krankenwärter, der in der Stadt wohnt, und sich freiwillig dem Krankenhause zur Pflege der Verwundeten zur Verfügung gestellt hat. Es ist ein Buchdrucker, der uns bisher mit seiner wortreichen Frömmigkeit lästig gefallen war. Er ist aber ein ganz guter Kerl, nur hat der kleine Erfolg der Franzosen ihm anscheinend plötzlich den Kopf verwirrt. Er hatte schon geglaubt, dass es mit Deutschland endgültig aus sei. Der liebe Gott hätte Deutschland eben diese Prüfung geschickt, weil der Unglaube sich in Deutschland so breit gemacht habe. Wir haben ihn deswegen immer ausgelacht, zu seinem größten Kummer. Heute morgen hat er aber bei uns einen Stein im Brett. Seine gute Nachricht hat ungeheuren Jubel unter uns hervorgerufen, nachdem wir erst herausgebracht hatten, dass die Franzosen nicht nach dem Rhein zu die Stadt verlassen haben, sondern dass sie in eiligem Marsche wieder nach Belfort, wenigstens nach der französischen Grenze zu, abgerückt sind. Alle erwarten wir, dass vielleicht heute noch die ersten Deutschen wieder in Mülhausen sein werden.

Rechts neben mir liegt ein Kamerad, der im bürgerlichen Leben Drechsler ist. Er hat einen Beinschuss und probiert andauernd, wie weit er schon wieder die Knie durchdrücken kann, und wie es mit dem Gehen ist. Bei der nächsten Gelegenheit will er um Aufsteherlaubnis fragen. Zu meiner linken Seite liegt ein aktiver Feldwebel, er ist Pionier. In den Augusttagen ist er beim Umlegen eines Fabrikschornsteins zu Schaden gekommen. Als das Ding umkippte, war er noch in zu großer Nähe, wurde durch den Luftdruck umher geschleudert und ist erst wieder in seinem Bett zur Besinnung gekommen. Am ganzen Körper ist er grün, gelb und blau, und hat sich verschiedene Knochen gebrochen. Er wird noch recht, recht lange auf dem Rücken liegen müssen, aber jetzt schon kann er es vor Unruhe  nicht mehr aushalten. Die Schwestern haben große Mühe, ihn im Bett zurückzuhalten. Jetzt erzählt er ein über das andere Mal, dass er noch blödsinnig würde, wenn er auch nur noch einen Tag lang auf dem Rücken liegen solle.

25. August: Müller, der sonst so schweigsam ist, ist nun, nachdem die Franzosen Mülhausen geräumt haben, auch recht gesprächig geworden. Er hat einen Vetter in Frankreich besucht und ist auf dem Rückwege mitten in das wildeste Sturmgebraus des Krieges gekommen. Ein dutzendmal schon hat er im Saale erzählt, wie es ihm in der furchtbaren Nacht vom 9. zum 10. ergangen ist. Als die Schießerei begonnen hat, da hat er, der sich gerade in der Stadt befand, noch schnell nach dem Hospital hinauslaufen wollen, dabei ist er mitten in den fürchterlichsten Geschosshagel hineingelaufen. 

„Die Kugeln pfiffen mir um den Kopf, ich wusste nicht, wohin ich sollte, da war ich in einer Gärtnerei. Ich lief in ein Treibhaus und wollte mich da verstecken. Fortwährend fielen Kugeln darauf und das Glas splitterte so fürchterlich umher, dass ich mich nicht darin halten konnte. Ich bin wieder herausgelaufen. Habe mich hinter eine Mauer gelegt. Auf einmal sauste eine Granate gerade in das Gewächshaus hinein. Wenn ich da noch drin gewesen wäre, dann wäre ich mausetot. Es ist davon auch nicht ein Fetzen heil geblieben. Als ich nun dalag, da war ich noch lange nicht in Sicherheit. 
Auf einmal sprangen Franzosen über die Mauer, Deutsche hinterher, und im Garten haben sie sich gepackt. Das war fürchterlich! Ich habe die Augen noch immer fest zugemacht und den Kopf in meine Arme gelegt. Schließlich war es dann vorbei. Da bin ich gelaufen, wie ich nur konnte und war froh, als ich endlich hier war.“

Wir haben Besuch gehabt. Es waren drei junge Mädchen die aus großen Körben zunächst Obst ausgeteilt haben. Wir waren schon froh und heiter gestimmt durch die einfache Anmut, mit der sie ihre Aufgabe erledigten. Das Schönste ist aber dann noch gekommen. Sie stellten sich am Eingang des Saales auf und sangen dreistimmige Lieder. Zuerst sangen sie „Hebe Deine Augen auf,“ die schöne Motette von Mendelsohn. Aller Augen hingen an ihren Lippen und alle Ohren lauschten gespannt ihren wohlklingenden, hellen Stimmen. Sie hatten auch an die Franzosen gedacht, sie sangen auch ein französisches Volkslied, und beide Parteien kargten nicht mit ihrem Beifall. Auf beiden Seiten waren die schönen Sangesgaben der jungen Mädchen so reiche Labung zu hoffnungsvollem Trost.

Parteien? Wir sind ja gar keine Parteien mehr! Wir sind hilfsbedürftige Menschen, die einander helfen, als hätten sie nie miteinander im Kampfe gelegen. Wir betrachten die Franzosen als unsere verwundeten Kameraden. Ich weiß nicht, ob dieser Ausdruck zu stark vertraulich gewählt ist, ich weiß aber bestimmt, dass wir Deutsche zu den verwundeten Franzosen kameradschaftliche Gefühle haben, und ich kann es mir nicht denken, dass es bei den Franzosen anders ist. Trotz der verschiedenen Sprachen können wir uns ganz leidlich unterhalten. Es bildet sich unter einigen sogar etwas wie Freundschaft heraus, Freundschaft auf Grund der gemeinschaftlichen Leiden und der gemeinschaftlichen Hoffnung. Alle wünschen sich Gesundheit und alle wünschen ihr Vaterland möglichst bald wieder zu sehen.

26. August: Heute morgen erhielten wir die Nachricht, dass die Deutschen wieder in Mülhausen sind. Es ist zwar nur eine Patrouille, aber die deutsche Fahne weht schon wieder auf dem Mülhauser Rathaus. Auch werden die Uhren jetzt wieder 55 Minuten vorgestellt. Dadurch geht uns heute eine ganze Stunde verloren. Wir sind aber gar nicht böse darum. Alle, alle möchten nur so gern hinaus, trotzdem wir hier so gut aufgehoben sind. Aber es ist doch ein zu unsicherer, ein zu heißer Boden. Und die Kameraden sind schon fortgeführt nach Belfort.

Lachend hat der Professor gesagt: „Vermutlich wird man sie an die Riviera schicken. Haben Sie nicht auch Lust, Herr Krafft?“
„Ich danke! Ich will lieber nach Deutschland.“
„Aber Sie wären dort sehr gut aufgehoben. Ich habe gehört, dass die Gefangenen von den Franzosen geradezu gefeiert wurden.“
„Das wird wohl nur solange vorhalten, wie sie zu siegen glauben. Später werden sie sich von einer sehr viel schlimmeren Seite zeigen. Außerdem finde ich es schmachvoll, hier fortgeführt zu werden.“
„Aber es ist doch keine Schande. Vor allen Dingen würden Sie nichts dagegen tun können.“
„Das ist es ja gerade! Ich kann nicht darüber entscheiden, ob ich gefangen sein will oder nicht. Man stiehlt mich einfach. Das ist entsetzlich. Weit weniger quälend würde ich es empfinden, wenn ich nach der Verteidigung bis zum Letzten auf dem Schlachtfelde mich wackeren, siegreichen Feinden gefangen geben müsste.“

Mir schräg gegenüber liegt der dicke Stellmacher. Er ist unser Zweizentnermann. Wenn er des Morgens aufwacht, dann prustet er und stöhnt und räuspert sich so laut, dass wir diesen Augenblick „Das Erwachen des Löwen“ nennen. Die Franzosen sind, unabhängig von uns, auf dasselbe Bild gekommen. Auch sie sagen: „La reveille du lion.“ Er wiegt nur 216 Pfund. Er behauptet, zehn davon hätte er in dem Gefecht beim Sturm auf die Anhöhe verloren, und sechs Pfund hätte ihm das französische Schrapnell, das ihn niederstreckte, aus der Schulter gerissen. 

Ganz hinten in der Ecke liegt der Schorschl. Er ist ein Braunschweiger Kind. Ein Schmied. Man hat ihm seinen linken Arm abgenommen, und hundertmal habe ich ihm sagen müssen, dass er mit einem künstlichen Gliede auch den Blasebalg ziehen und die Zange halten kann. immer wieder läβt er sich erzählen, wie man solche Glieder herstellen kann und warum sie das Vaterland den verstümmelten Söhnen ohne alle Bezahlung schenkt. Er hat großes Pech gehabt; er wurde schon am 9. August verwundet. Weil er sich vor dem Gefecht schwach fühlte, hatte der Hauptmann ihn zur Bewachung der von der Kompagnie abgelegten Tornister zurückgelassen. Während des Gefechtes hatte er sich dann doch hinter der Kompagnie hergeschleppt. Aber ehe er die Stadt erreichte, wurden versprengte Franzosen und franzosenfreundliche Zivilisten auf ihn aufmerksam und schossen auf ihn. Tapfer schlug er zur Gegenwehr an, aber da trafen ihn schon Schüsse durch den Arm und er sank zusammen. Die Gegner kamen schnell herbeigelaufen, um ihm gänzlich den Garaus zu machen. In diesem Augenblick ist aber eine deutsche Reiterpatrouille gekommen und hat sich sofort sehr heftig mit den Herrschaften bekannt gemacht. Der Schorschl war gerettet, und wenn er jetzt in das Lazarett eingeliefert wäre, dann wäre auch sein verletzter Arm zu retten gewesen. Aber in diesem Augenblick sank die Nacht immer tiefer herab. Er blieb am Wege liegen und ward erst am nächsten Morgen gefunden, und da war es zu spät
Nun ist der erste deutsche Soldat in unserem Saal gewesen. Es war ein Arzt von unserem 3. Bataillon, der sich mit einem Auto nach Mülhausen durchgeschlagen hatte. Mit eiligen Schritten stürmte er herein und rief: „Ist hier einer vom ...Regiment?“ Wir meldeten uns. Er schrieb die Verwundung und die Kompagnie jedes einzelnen auf und versprach, sofort die Angehörigen von unserem Schicksal telegraphisch zu benachrichtigen.  

27. August: Mit größter Spannung folgte ich heute der Untersuchung durch den Professor. Er löste meinen Verband und besah und betastete die Wunde lange Zeit mit größter Aufmerksamkeit. Schließlich sagte er: „Der Heilungsprozess macht vorzügliche Fortschritte. Sie werden in ganz kurzer Zeit Ihren Arm wieder vollständig gebrauchen können, ohne besondere Schädigung.“

28. August: In dieser Nacht ist einer der Franzosen gestorben. Es war ein Mann mit einem Bauchschuss, der schon gut auf dem Wege der Besserung war. Er hat die Unvorsichtigkeit begangen, zur Erledigung seiner Bedürfnisse aufzustehen und hinauszugehen. Er hat noch erzählt, dass er sich ganz gut fühlte und sich wieder hingelegt. Aber schließlich stöhnte er ununterbrochen, wie einer, mit dem es zu Ende geht, und ich habe den wachhabenden Arzt gerufen. Es war aber nichts mehr zu machen. Dem Mann ist eine Hauptader geplatzt. Das ganze Bett war rot von Blut. Er wurde hinausgeschafft und lebt nicht mehr.

Auch von unseren deutschen Kameraden geht es mit einem zu Ende. Es ist ein Familienvater, der sechs Kinder zurücklässt. Seine Beinwunden sind so schlimm geworden, weil er ebenso wie der Schorschl zu lange hat draußen liegen müssen. Zwei Tage hat er im Regen hinter einer Hecke gelegen und sich nicht rühren können. Die Beine sind ihm abgenommen, aber es ist zu spät gewesen. Der Mann ist nicht mehr zu retten. 

Es gab aber auch heute vormittag eine große Freude. Deutsche Post ist angekommen. Damit kamen auch die ersten deutschen Soldaten. 
Als wir heute draußen im Garten waren, hörten wir auf einmal Kanonendonner aus der Richtung von Altkirch her. Darüber entstand unter Franzosen und Deutschen größte Aufregung. Es ist wieder ein Gefecht im Gange. 
Die Zeitungen brachten heute lauter erfreuliche Nachrichten. Sie bekommen allmählich Mut, und nun wissen wir, dass bei Metz tatsächlich eine große Schlacht stattgefunden hat und sie ist für die Deutschen von großem Erfolg gewesen. 

30. August: Nachmittags 6 Uhr. Es geht hinaus aus Mülhausen, aber nicht nach Belfort, sondern nach Deutschland, nach Deutschland! Schier ein Wunder! Schon wieder in der feldgrauen Uniform! Eine Flucht, ob es gelingt? Nachts Neuenburg. Auf deutschem Boden. Es geht weiter nach Müllheim. Was wird, niemand weiß es. Jedenfalls sind wir frei! frei! frei!"

Am 13. Nov. in der Gegend von Ypern erhält Krafft bei einem Sturmangriff einen Schuss durch beide Oberschenkel. Lange liegt er schwer verletzt in einem Schafstall bevor ihn Kameraden zurückbringen. In diesem Stall bekam er Besuch von einem Hund:

„Da sah ich, dass es ein halbverhungerter, dreckiger Schäferhund ist. Mit gesträubten Haaren duckte er sich und stürzte dann auf mich los. Verbiss sich in mein rechtes wundes Bein. Mit unendlicher Mühe habe ich ihn erwürgt. Ein Glück, dass der Köter vom Hunger noch geschwächter war als ich von meinem Blutverlust!"

Dann kam er in ein Feldlazarett in Flandern, beide Beine mussten amputiert werden. Als er transportfähig war, wurde er nach Deutschland verlegt, wo er aber bald seinen Verletzungen erlag.

Einem Kameraden hatte er vor seinem Tod noch gesagt:

"Das Ereignis, in dessen Mitte wir stehen, ist so gewaltig, so überragend, dass wir uns sein Bild doch nur aus Einzelbildern mosaikartig zusammensetzen müssen. Ich glaube, dass ich in meinem Tagebuch und in meinen Briefen unbewusst ein Teilschicksal in dem wogenden Meer unerhörter Ereignisse gestaltet habe, das kennen zu lernen wertvoll ist."

Dieser Kamerad sorgte dafür, dass sein Tagebuch noch 1915 veröffentlicht wurde.