Erzählung von Hermann Keilbach aus Bruchsal, 2. Kompanie I.R. 470:
"Wir hatten schon zum x ten Mal abgelöst. Unser Unterstand, dessen Eingang vom vorderen Graben einige Meter zurück verlegt war und der am Fuße eines Hügels lag, versprach Sicherheit; Stimmen aus der Nachbarschaft zeugten dafür, daß auch hier für einen Notausgang Sorge getragen war. Tags darauf mussten wir leider feststellen, welche unangenehme Nachbarschaft wir uns ausgesucht hatten; denn ein schweres MG ließ sein Tack-tack erschallen. „Das kann gut werden“, sagte ich zu meinem jungen Kameraden. „Dem Franzosen wird eines Tages das Getack über uns zu dumm. Er schickt uns dann keine Bumrätscher, sondern ein paar von seinen Dicken herüber. Wenn es dann brenzlig und wacklig wird, dann müsst ihr durch diese Wand das Freie suchen, wenn er unser Loch zuerst zudeckt“.
Es war acht Tage später, als ein Bersten und Krachen, ein Aufbrechen und Flüchten unserer Nachbarn die Gefahr für uns selbst erkennbar machte. Instinktiv machten wir uns alle fertig, und schon saß die erste Salve vor und auf unserem Unterstand, daß alles in die Schräglage zu stehen kam und zusammen zu brechen drohte. „Raus! Ich gehe als letzter!“ war alles, was ich noch sagen konnte. Die ersten hatten es nicht so schwer hinaus zu kommen, mein Vordermann jedoch musste schon auf Händen und Füßen seine Freiheit erkämpfen.
Als ich nun selbst hinaus wollte, vermisste ich meine „Braut“, sie hing noch an ihrem altgewohnten Platz. Hineilen, wegnehmen und im selben Augenblick auf den Hintern fliegen, war eins. Unwillkürlich hatte ich die Augen geschlossen. Als ich sie wieder öffnete, war es fast Nacht um mich; nur ein kleiner Spalt, kaum so groß, daß ich noch den Tornister hindurchzwängen konnte, war übrig geblieben. Wie ein Maulwurf arbeitete ich mich durch.
Draußen waren neue Einschläge, untermischt mit MG-Feuer, mein Empfang. Ach Gott, wie sah unser so schön gedielter und verschalter Graben aus. Ein Tohuwabohu von Brettern, Faschinen, Drahtverhau, Steinen und Dreck, die reinste Berg- und Talbahn! Dazu das Tack-tack und Bumrätsch in steter Begleitung. Währe ich nicht nach dem Ausspruch unseres Kompanieführers Leutnant Kars „Keilbach der Baumkletterer“ gewesen – ich hätte die 50 oder 100 Meter Geländesport, bei dem ich im wahrsten Sinne des Wortes Blut geschwitzt habe, kaum lebend überwunden. Kaum fühlte ich wieder jungfräulichen, nicht umgepflügten Boden unter meinen Füβen, setzte ich auch noch zum Endspurt an.
Aber schon nach kurzem Galopp kam mir unser Kompanieführer mit den Worten entgegen: „Na, Gott sei Dank, da sind wir ja alle wieder beieinander“. Nicht seine Worte, sondern die Besorgnis und das Mitempfinden, das aus ihnen sprach, die Nichtachtung der eigenen Gefahr haben mich mit der ausgestandenen Qual vollauf versöhnt."