Von einem französisch-englischen Geschwader, welches vom Flugplatz St. Sauveur bei Luxeuil gestartet war um die Mauser-Fabrik bei Oberndorf am Neckar zu vernichten.

Aus: Bayerische Flieger im Weltkrieg, München 1919

12. Oktober 1916. Ein wolkenloser, nebelfreier, prächtiger Tag. Eine Ago (Anm.: Aviatiker Gustav Otto, Flugzeugwerke GmbH Oschersleben) steht als einzige Sperrdienstmaschine vor der Halle des Flugplatzes Kolmar-Nord, wo die bayerische Abteilung 9b stationiert ist, als folgende Meldung per Telefon durchgegeben wird: "Fünf feindliche Flugzeuge fliegen von Gebweiler (Anm.: heute Guebwiller) nach Osten". Es wird alarmiert, der Ruf "Maschinen heraus" ertönt, die Besatzungen der Maschinen machen sich startklar, da kommt die nächste Meldung: "Die Flieger fliegen Richtung Kolmar". Nur zwei Minuten nach der ersten Meldung werden die Motoren angelassen (3 Kampfeinsitzer Fokker-D Maschinen (Anm.: Besatzungen: Ltn. Kissenberth, Vizefeldwebel Hanstein, Vizefeldwebel Hilz.) mit Gnom-Motoren und 6 Agos mit Mercedes-Motoren). Es ist 3 Uhr 6 Minuten nachmittags, die Fokker-Maschinen starten.

Meldung um 3 Uhr 10 Minuten: "Sieben feindliche Flugzeuge von Gebweiler, Richtung Freiburg fliegend".

Um 3 Uhr 12 Minuten die nächste Meldung: "Feindliches Geschwader im Münstertal".

Von weitem hörte man schon das Feuer der Abwehrkanonen.

Um 3 Uhr 16 Minuten können auch die Agos starten (Anm.: Besatzungen: Vfw. Ertl und Ltn. Biedermann auf Ago C 370, Ltn. Pfleiderer und Ltn. Simon auf Ago C 1907, Ltn. Hartl und Ltn. Kiliani auf Ago C 1903, Uffz. Bauer und Oltn. Wenke auf Ago 1911, Vfw. Neumaier und Ltn. Hailer auf Ago 97, Ltn. Auer und Oltn. Paulin auf Ago 1912).

Zwei dieser Maschinen mussten "Sperre fliegen" auf der Linie Buchenkopf - Schratzmännle - Hilsenfirst.

AGO C Flugzeug

Ltn. Kissenberth im Fokker-Kampfeinsitzer

Oltn. Kissenberth, 20 Luftsiege, Ritter des Ordens "Pour le Mérite".

Inzwischen waren folgende Meldungen auf dem Flugplatz eingegangen:

7 feindliche Flieger vom Hilsenfirst nach Osten
12 feindliche Flieger von Gebweiler nach Ensisheim
5 feindliche Flieger von Ensisheim nach Breisach
10 feindliche Flieger vom Buchenkopf nach Südosten
15 feindliche Flieger von Thann nach Nordosten

Man konnte sich zunächst kein genaues Bild aus den vielen Meldungen machen. Später stellte sich heraus, dass ein englisch-französisches Geschwader mit über 40 Flugzeugen unter Leitung des Kapitäns Happe vom Flugplatz St. Sauveur bei Luxeuil gestartet war mit dem Auftrag, die große Mauserfabrik bei Oberndorf am Neckar5 durch Bombenabwurf zu vernichten.

Der Flugplatz bei Luxeuil, von dem das Geschwader startete.


Das Geschwader bestand aus mehreren Gruppen: Voraus als erste Gruppe flogen 5 Farmans auf 2500 Meter Höhe, darüber in 5000 m Höhe 2 Nieuports. 

Zweite Gruppe: 10 riesige Breguets mit 260 PS-Motoren, jede bestückt mit 30 - 40 Bomben, Flughöhe 3000 - 3500m, darüber etwa 5 oder 6 Nieuports.

Dritte Gruppe: Etwa 16 englische Sopwith, Flughöhe 3500 - 4000 m. Und hintendrein noch kleine Gruppen und Nachzügler.

Außer den alten Farmans waren alles moderne und schnelle Flugzeuge, den deutschen jedenfalls technisch überlegen.

Zu einem ersten Luftkampf kam es zwischen Kolmar und Neubreisach. Adjutant Henri Baron und sein Bombardier Sergeant André Guérineau mit einer Farman wurden von Ltn. Kissenberth und von Vfw. Hilz verfolgt, schließlich eingeholt und abgeschossen. Der Farman überschlägt sich mehrmals in der Luft und stürzt in ein Waldstück bei Widensohlen. Zwei der mitgeführten Bomben explodieren, eine mehr als hundert Meter hohe Rauchwolke markiert die Absturzstelle. 

Grab von Henri Baron, Friedhof bei Neu-Breisach.

Chevalier de la Légion d'Honneur, Médaille militaire, Cité cinq fois à l'ordre de l'Armée.

Anm.: Baron wurde am 27. April 1893 geboren. Einige seiner Einsätze waren:
Am 14. Juli 1916: Bombenangriff auf Bahnhof und Kaserne Müllheim. 17. Juli 8 Bomben auf Lörrach. In der Nacht vom 8. zum 9. August Angriff einer Pulverfabrik in Rothweil am Neckar. Am 23. September startete er zu einem Bombenangriff auf Militäranlagen in Ludwigshafen und Mannheim. Er hatte für ca. 6 Stunden Treibstoff an Bord. In Mannheim bombardierte er einen Hangar und zerstörte einen Zeppelin (200 Meter lang, 8 Motoren). Es gab 26 Tote und 45 Verletzte. Am 9. Oktober flog er mit seiner Maurice-Farman (Escadrille 123) einen Angriff auf die Bosch Magnetzünder-Fabrik in Stuttgart. Er warf sechs Bomben ab, die Fabrik ging in Flammen auf. Nach einer Flugzeit von 6 Stunden und 20 Minuten war er wieder zurück.

Nach diesem ersten Luftkampf verfolgt Ltn. Kissenberth wieder einen Farman, besetzt von Armand Georges und Ernest Jouan, welche bei Breisach in Richtung Schwarzwald flog. Und wieder hatte er Erfolg, die Maschine stürzte in engen Spiralen dem Boden entgegen, ging in 150 m Höhe ganz auf den Flügel und zerschellte bei Ihringen dicht an der Bahnlinie Breisach - Freiburg.
Ltn. Kissenberth flog nun zum Flugplatz Neubreisach zurück um Benzin und Munition zu fassen und Meldung zu machen. Die drei übrigen Farmans waren nicht mehr einzuholen.

Ago C beim Start

Einer der drei übrigen Farmans jedoch dreht ab und fliegt Richtung Kolmar zurück. Dabei wird sie von der Besatzung der Ago C 97, Neumeier - Hailer entdeckt. Der Farman bemerkt den Angreifer, geht in enge Kurven bis auf 300 m herunter. Da hat Ltn. Hailer Ladehemmung und der Farman zieht unbehelligt davon. Nun wurde er von der Besatzung Bauer - Wenke gesichtet und verfolgt, jedoch ging ihnen bald die Munition aus. Ausgerechnet über dem Flugplatz Kolmar machte der Farman in geringer Flughöhe ein waghalsiges Manöver und konnte über Katzental, Kaisersberger Tal, Markircher Höhe entkommen. Offenbar handelte es sich bei dem Piloten um den Geschwader-Kommandeur Capitain Happe.

Capitain Happe (rechts) mit seinen Offizieren

Ein weiterer Luftkampf fand südlich von Kolmar, bei Rüstenhart statt. Dort hatte Vfw. Udet von der Jagdstaffel 15 einen großen Breguet-B.M.-Doppeldecker zur Landung gezwungen. Die Maschine hatte noch alle 30 Bomben an Bord.

Der Breguet-B.M.-Doppeldecker, bei Rüstenhart zur Landung gezwungen.

Dieselbe Maschine von hinten gesehen. Die Bomben befanden sich noch an Bord.

Deutlich erkennbar die M.G.-Treffer im Motorgehäuse.

Nach der erfolglosen Jagd auf den Farman machte die Besatzung der Ago 97 kehrt und und flog in Richtung Vogesen. Am Buchenkopf sahen sie zwei Nieuports kreisen, die offenbar den Rückzug des Geschwaders decken sollten. Da kamen auch noch Oltn. Paulin und Ltn. Auer auf Ago 1912 hinzu. Es entwickelte sich wieder ein Luftkampf, die Maschinen drehten sich in engen Kreisen und wilden Spiralen. 20 Minuten dauerte das Duell, dann zogen die Franzosen ab.

Die anderen drei Agos waren inzwischen in Richtung Schwarzwald unterwegs um den Gegner zu stellen. Mit dem Heimatflugplatz war man per Funk verbunden. Um funken zu können musste der Beobachter zuerst eine Antenne herunter lassen. 

Über Freiburg machen Ltn. Hartl und Ltn. Kiliani (Ago C 1903) kehrt und sehen zu ihrer Überraschung 10 Flieger entgegen kommen. Sie wollen den am weitesten links fliegenden attackieren, doch plötzlich explodiert diese Maschine. Offenbar hat ein Volltreffer der Flugabwehr eine Bombe getroffen.

Dann schert ein anderer Breguet aus dem Verband aus und biegt nach Süden ab, verfolgt und beschossen von Ago 1903. Der Breguet muss bei Bremgarten in der Nähe des Gutshofes Weinstetten notlanden, wirft zuvor aber noch drei Bomben und sein M.G. über Bord. Ltn. Hartl landet in der Nähe um die Franzosen am Verbrennen ihrer Maschine zu hintern, aber sie kamen zu spät, der Breguet brannte schon lichterloh. Explodierende Bomben und Benzintank boten ein imposantes Bild.

Die Franzosen kamen den Deutschen entgegen und salutierten. Man verständigte sich so gut es ging. Der französische Flugzeugführer war Sergeant Bouot. Er hatte bereits über Freiburg einen Schuss ins rechte Bein erhalten, nachdem auch noch der Benzintank getroffen wurde, musste er landen. Unterdessen waren zwei Offiziere aus Staufen angekommen, ihnen wurden die Gefangenen übergeben und im Auto nach Freiburg gebracht. Bei der abgeschossenen Maschine hatte sich die Bevölkerung eingefunden. Der Pfarrer von Bremgarten erzählte, dass das schon das dritte feindliche Flugzeug sei, das in der Umgebung von Bremgarten abgeschossen wurde. 

Der Ago 1907 mit Ltn. Pfleiderer und Ltn. Simon kam in 1000 m Höhe eine deutsche Aviatik der Abteilung 48 entgegen. Offenbar wurden sie für Franzosen gehalten, denn sie wurden heftig beschossen. Als die Aviatik den Irrtum bemerkte, schlich sie scheu davon. Zum Glück blieb die Ago unbeschädigt und konnte ihren Flug über den Rhein fortsetzen. Da sichtet Simon einen einzelnen englischen Breguet, sie nähern sich der Maschine und jagen ihr eine M.G.-Garbe in den Rumpf. Nun kam auch noch von oben der Fokker von Ltn. Kissenberth und schiesst dem Engländer eine Garbe in den Motor. Der Engländer wehrt sich und trifft die äussere Strebe der Fokker, dass sie wegflattert. Aber das Tragdeck hält. Es folgte ein weiterer Angriff von Kissenberth, dieses Mal mit der Sonne im Rücken und wieder trifft er das Motorgehäuse. Nun blieb der Motor stehen. Im gleichen Moment bricht der englische Beobachter getroffen zusammen. Nun hatte der Engländer keine Wahl mehr, er landete auf einem Acker bei Oberenzen, 15 km südlich von Kolmar. Unmittelbar dahinter landete auch die Ago 1907 von Ltn. Pfleiderer. Sie nehmen den englischen Ltn. Rockey und seinen schwerverletzten  Bombardier Sergeant Sterdec gefangen. Ltn. Kissenberth wollte mit seiner defekten Maschine eine Landung neben seinem dritten Opfer und neuen Start auf dem Ackerboden nicht riskieren und flog heim.

Englischer Breguet-B.R.-Doppeldecker bei Oberenzen zur Landung gezwungen.

M.G.-Treffer im Boot der Breguet.

Vfw. Hanstein hatte mit seiner Fokker einen englischen Sopwith auf dem Flugplatz in Freiburg zur Landung gebracht. Der Pilot, Marineunterleutnant Buckerworth, war durch einen Schuss in den Hals verwundet worden und musste deshalb, von Hanstein verfolgt, auf dem Exerzierplatz notlanden. Vfw. Hanstein wäre dabei um ein Haar von den Monteuren der Geschwaderschule in der Begeisterung erschossen worden. Hanstein hatte nur 7 Schuss auf den Sopwith abgegeben und dann Ladehemmung gehabt.

Die von Vfw. Hanstein in Freiburg zur Landung gezwungene Sopwith

Ltn. d. Res. Hanstein † 21. 3. 1918

Auch Vfw. Hilz hatte nochmals Erfolg. Er hatte bei Umkirch einen Breguet abgeschossen. Die Insassen waren verbrannt.

Nur noch 15 Maschinen des Geschwaders erreichten schließlich Oberndorf und warfen dort 60 Bomben ab. Ein Teil der Besatzungen soll mit schweren Verwundungen oder gar toten Beobachtern nach Luxeuil zurück gekehrt sein, darunter auch 3 Amerikaner, welche bald darauf ihren Verletzungen erlagen. Im Kasino des Flugplatzes war ein Festtisch mit 100 Gedecken für die Flieger vorbereitet. Aber es kehrten nur wenige zurück. Capiain Happe fehlte, er hatte sich bei seinem Flugmanöver in Kolmar einen "tüchtigen Nervenchok" zugezogen. Sein Beobachter war tot. Von 21 Fliegern wusste man nichts, sie waren nicht zurückgekehrt. 15 weitere waren tot oder schwer verwundet im Lazarett.

In der Aussegnungshalle auf dem Friedhof Oberndorf erinnert eine Ehrentafel an die Opfer der Luftangriffe (Foto: Florian Wein).

Drei Tage nach diesem denkwürdigen 12. Oktober wurden im Mooswald bei Freiburg die verbrannten Reste von zwei weiteren feindlichen Maschinen gefunden. Somit waren insgesamt 11 Flugzeuge nicht mehr heimgekehrt.