Frühjahr 1917. Das Regiment lag im Divisionsverband im Oberelsaβ, um angeblich zu erwartende feindliche Großangriffe aus der „Burgundischen Pforte“ heraus abzuwehren. Die Stellung verlief von Norden nach Süd-Südosten westlich der Dörfer Ober- und Niederburnhaupt. Wir hatten württembergische Landwehr abgelöst, die an der verhältnismäßig ruhigen Front seit Ende 1914 einen fast behaglich zu nennenden Krieg geführt hatte. Wie wohl fühlten wir uns in den behaglichen und geräumigen, mit Mobiliar aus den umliegenden verlassenen Gehöften wohnlich eingerichteten Beton-Unterständen! Hatten wir doch die grausige Sommeschlacht und einen mehrwöchentlichen Einsatz in der Woëvre-Ebene mit ihren nassen, dumpfen Unterständen eben erst hinter uns.
Schon nach einigen Tagen kam von der Heeresgruppe Herzog Albrecht, der Befehl, daß die neu eingesetzten Regimenter mit allen Mitteln und sobald wie irgend möglich Gefangene einzubringen hätten, um Aufschluss über die Absichten des Feindes gewinnen zu können.
Anfang April 1917 lag die 3. Kompanie des reserve-Infanterie-Regiments 32 (3./R.J.R. 32) im Abschnitt „H4“, welcher sich etwa 300 Meter südwestlich Niederburnhaupt von einem Punkt 200 Meter südöstlich der Straße nach Ammerzweiler in nordwestlicher Richtung bis zur Straße nach Diefmatten (Westausgang von Niederburnhaupt) erstreckte. Die stürmischen, regnerischen und vor allem dunklen Nächte forderten eine unternehmungslustige Truppe geradezu zu Patrouillen-Unternehmungen heraus. Da war vor allem der besonders als Patrouillenführer erprobte und bewährte Vizefeldwebel Max Hammerschmidt. Nacht für Nacht ging der unermüdliche Vfw. Hammerschmidt mit einer starken Patrouille von etwa 20 Mann vor, um den zu einem Einbruch in die feindliche Stellung günstigen Punkt zu erkunden.
Oft war diese Patrouille von abends 9 bis 3 Uhr nachts unterwegs. Bald war festgestellt, daß die erste feindliche Linie zwischen den Stützpunkten an der Straße nach Gildweiler und derjenigen nach Ammerzweiler nur durch Pendelposten in der Stärke von 2 Mann gesichert war. Diesem Pendelposten galt die in der Nacht vom 17./18. April, unter Führung des Kompanieführers Francke und des Vfw. Hammerschmidt angesetzte Unternehmung.
Da wiederholt im Zwischengelände starke feindliche Patrouillen beobachtet worden waren, wurden, um gegen jede Überraschung gesichert zu sein, 4 Gruppen (32 Mann), eingeteilt. Eine rechte Aprilnacht, stockfinster, mit dauernden Regenschauern, schuf die beste Vorbedingung für das Gelingen des Unternehmens. Gegen 9 Uhr abends verließen die Patrouillen lautlos die eigene Stellung. Durch besondere Posten an den durchs eigene Hindernis geschnittenen Gassen wurde das Auffinden der letzteren bei beschleunigter Rückkehr sichergestellt. In der Form eines geschlossenen Keils, Spitze feindwärts, arbeitete sich nun die Patrouille Schritt für Schritt an die etwa 900 Meter entfernten feindlichen Hindernisse heran. Schon nach wenigen Minuten waren wir von dem Kriechen durch das nasse Gras bis auf die Haut durchnässt. Aber die fieberhafte Spannung ließ alles vergessen. Kam doch alles darauf an, auch das leiseste Geräusch beim Feinde zu erfassen und auszuwerten.
Nach etwa einer Stunde war das erste Hindernis erreicht. Aus den vorausgegangenen Erkundungen des Vfw. Hammerschmidt war bekannt, daß die feindliche Stellung durch 3 je 8 bis 10 Meter breite Drahthindernisse gesichert war. Die vorsorglich mitgenommenen großen Drahtscheren traten in Tätigkeit. Um das beim Durchschneiden von Draht entstehende Geräusch herabzumindern, wurde jeder einzelne Draht mit mitgebrachten Tuchfetzen umwickelt und dann erst durchgeschnitten.
In regelmäßigen Abständen schwebten die Fallschirmkugeln des Gegners zur Beleuchtung des Zwischengeländes empor. Regungslos, mit dem Kopf auf die Erde gedrückt, verharrte indes unsere Patrouille. Wussten wir doch, daß durch die leiseste Bewegung das Gelingen des ganzen Unternehmens in Frage gestellt wurde. Nach angestrengtester Arbeit waren gegen 1 Uhr nachts zirka 4 Meter breite Gassen durch die 3 Hindernisse geschnitten. Nun verteilte sich befehlsgemäß je eine Gruppe auf die Gassen in jedem Hindernis. Die vierte Gruppe teilte sich und legte sich im Abstand von zirka 20 Meter mit je vier Mann, links Vfw. Hammerschmidt, rechts Leutnant Francke, vor den Auswurf des feindlichen Grabens.
Vollkommen durchnässt, von den fortwährend niedergehenden, eisigen Regenschauern in Gesicht und Nacken gepeitscht, wurde nunmehr unter ungeheurer Spannung das Herankommen des feindlichen Pendelpostens erwartet. Endlich, nach etwa einstündigem Warten hörten wir von links her auf der mit Lattenrosten ausgelegten Grabensohle einen einzelnen Mann herankommen. Die schussfertige Pistole in der Hand, kauerten wir sprungbereit am Grabenrand. Sobald der Mann in der Mitte zwischen den beiden Postierungen angelangt war, sprangen die Führer und je ein Mann auf jeder Seite in den Graben, während die restlichen 2 Mann mit Gewehren nach rechts und links sicherten.
Patrouille bei Niederburnhaupt
Vollkommen arglos, wohl mit den Gedanken bei seinen Lieben in der südfranzösischen Heimat, war der Mann mit umgehängtem Gewehr daher gekommen. Nun fühlte er sich plötzlich von kräftigen Fäusten gepackt und über den Grabenrand gezogen. Durch langgezogene Schreie versuchte er, seine Kameraden zu alarmieren. Jetzt kam es auf eine Sekunde an. Schon hörten wir rechts und links das Trappeln vieler Füße auf den Grabenrosten. Eine lange Kette bildend, wurde der sich noch immer heftig Sträubende in die Mitte genommen, und in atemlosen Lauf ging es zur eigenen Stellung zurück.
Jetzt bewährte sich das Aufstellen von Posten an den Gassen im eigenen Hindernis. Es wäre für uns bei der stockfinsteren Nacht unmöglich gewesen, dieselben mit der gebotenen Schnelligkeit zu finden. Als der letzte Mann wohlbehalten im eigenen Graben stand, setzte heftiges feindliches Maschinengewehr- und Artillerie-Sperrfeuer ein. Nun sofort Meldung an das Regiment.
Die Aussagen des sofort vernommenen Franzosen gaben der Division wichtige Aufschlüsse über die Absichten des Feindes.