Über die Erlebnisse meiner Gefangenschaft in Frankreich und Algier; von Joseph Zerrle, 1./Landwehr-Infanterie Regiment Nr. 3:

"Ich bin am 25. September 1914 auf Patrouille am Schwarzen See bei Urbeis im Elsaβ gefangen genommen worden. Meine anderen Kameraden waren tot und ich wurde in das Forsthaus am Schwarzen See von einem französischen Oberleutnant transportiert. Ich wurde dort verschiedenes gefragt. Man sagte mir zuerst, in Deutschland habe man nichts mehr zu essen, das Brot wird aus Stroh gebacken. Darauf sagte der Kapitän, der noch mit einem Leutnant und noch einem Adjutanten anwesend war, ich muβ ihm auf jede Frage Antwort geben: Sie sind vom 3. bayer. Landw. Inf. Rgt. I. Batl., ihr Oberst heißt Oberstleutnant Jordan und ihr Major heißt von Höβlin.

"Ihr Major gibt jedesmal den Befehl: Gefangene werden keine gemacht! – Stimmt das?" Dann sagte ich "nein, ich habe noch niemals etwas gehört von diesem Befehl". Der Kapitän sagte dann zu mir: "Wenn wir es jetzt mit Ihnen so machen würden?" Er hatte ein Notizbuch neben sich liegen, in das er öfters hineinschaute und das anscheinend von meinem Kameraden Bobinger war, den sie kurze Zeit schwerverwundet eingebracht hatten und der unterdessen gestorben ist. Dann fragte mich der Kapitän: "Wo steht Ihre Artillerie?" Ich sagte dann, "das weiß ich nicht". Dann sagte er: "Das müssen sie wissen!" Da musste ich nun herauslügen und sagte zu ihm, ich war 14 Tage nach Colmar beurlaubt und kam erst diese Nacht um 11 Uhr wieder zur Kompanie, infolgedessen kann ich nichts wissen. Dann sagte er zu mir: "Wir wissen schon wo ihre Artillerie steht. Sie steht da unten links von Urbeis an dem Schloβ, das wir aber schonen müssen, weil es einem höheren Offizier gehört, der in unserer Armee dient."

Dann wurde ich abgeführt in eine alte Hütte, wo ich des Nachts von einem Alpenjäger belästigt wurde. Er wollte mir meine Uhr abnehmen, die ich aber nicht hergab. Den Tag darauf wurde ich mit 2 Alpenjägern weiter transportiert. Dieselben übergaben mich an einer Ferme an 2 Kürassiere, die mich dann weiter nach Hohneck transportierten. Es ging durch einen großen Wald und ich hatte großen Durst. Da kamen wir in der Mitte des Waldes an ein Wasser. Da gab ich dem Reiter hinter mir durch Zeichen zu verstehen, daß ich trinken möchte, der es mir aber abschlug und durch Schimpfen seiner Wut Luft machte, was ich damals aber noch nicht verstand und so ging es los nach Hohneck, wo ich am Eingange dieser Ortschaft von einem französischen Vizefeldwebel in das Gesicht geschlagen wurde, daß ich mich zusammen nehmen musste, um nicht auf den Boden zu fallen. 

Dann ging es in ein in der Nähe befindliches Schloβ, wo der französische Generalstab untergebracht war, wo ich wieder aufs neue vernommen wurde. Da habe ich wieder genau so gesagt, wie bei der ersten Vernehmung. Da brüllte mich der Offizier der als Dolmetscher fungierte an, ich wäre ein Lügner und werde an die Mauer gestellt werden, und dann niedergeknallt werden. Ich erwiderte ihm hierauf, daß wenn ich etwas sagen muss, dann lügen muss. Darauf befahl er den Posten, daß sie mich wieder fortbringen sollten.

Sie brachten mich in ein kleines Häuschen, wo der französische Vizefeldwebel wieder zu mir kam und ließ mich auf eine Pritsche setzen. Da bekam ich etwas Fieber und das merkte der Vizefeldwebel. Er fragte mich ob ich krank sei, was ich zuerst nicht verstand, bis ein Franzose kam, der etwas Deutsch sprach, zu dem sagte ich, ja ich bin krank. Darauf ließ der Vizefeldwebel einen Strohsack holen und er selber deckte mich mit zwei Decken zu. Die ganze Nacht kamen neugierige Soldaten und bewunderten sich über den Boche. Den anderen Tag ging es nach Gérardmer, wo ich von den Frauen und Mädchen angespuckt, angerotzt und mit Steinen beworfen wurde. Die Posten die mich bewachten lachten über diesen Vorgang. 

Und nun kam ich glücklich in eine Kaserne. Dort waren mehrere Zivilgefangene darunter auch Frauen und ein Unteroffizier vom 123. Infanterie Regiment mit Namen Lang. Welche Freude, als ich den ersten Feldgrauen wieder sah, ebenso freute es auch ihn. Wir wurden von Gendarmen bewacht, die uns gleich fragten, ob wir unsere Helme nicht verkaufen. Dann sagten wir, die Helme gehören nicht uns, die gehören dem deutschen Staat. und wir müssen sie wieder einliefern wenn wir wieder zurück kommen. Darauf wurden uns die Helme in der Nacht gestohlen und wir bekamen am Morgen jeder eine Zivilmütze von den Gendarmen. 

An diesem Morgen wurde ein 17-jähriger Elsässer vor das Kriegsgericht gerufen wo er am Abend mit der traurigen Nachricht zurück kam, er sei zum Tode verurteilt. Wir fragten ihn weshalb, worauf er uns erzählte, er soll einem gefallenen französischen Kürassier eine Skizze abgenommen haben und einem deutschen Soldaten gegeben haben. Er behauptete und beteuerte seine Unschuld. Zeugen waren keine vorhanden. Der junge Mann wurde am Morgen darauf, nachdem er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, in ein Auto gebracht. Um ¾ 7 Uhr fuhr man dann außerhalb der Stadt, wo der junge Mann den Heldentod starb. 

Den Tag darauf kamen wir, Lang und ich und noch ein Zivilist nach Bruyères bei Epinal in ein Militär-Gefängnis, wo wir 11 Tage verbrachten. Den ersten Tag hatten wir wieder Malheur. Wir wurden dort von den Douaniers bewacht und erhielten von diesen die Suppe, welche uns in den Gefängnishof gebracht wurde. Es war ein großer Eimer, welcher halb voll mit Suppe gefüllt war. Wir dachten zuerst, die Franzosen haben die Teller und Löffel vergessen, als der Unteroffizier Lang, der auch französisch sprach, den Wachhabenden freundlichst um Teller und Löffel ersuchte, brüllte dieser ihn an, wir sollen fressen wie man in Deutschland friβt oder wie in Frankreich die Schweine fressen. Wir hatten großen Hunger und es blieb uns nichts anderes übrig, als an den Eimer niederzuknien, und mit den Händen zu essen, wobei sich die Franzosen ganz gewaltig amüsierten. 

Tags darauf kam eine andere Wache, diese war das Gegenteil. Der Wachhabende hatte Mitleid mit uns. Als Lang das sah, erzählte er ihm den Vorgang vom vorigen Tag, was er zuerst nicht glauben wollte. Hernach aber sagte er, er werde die Sache seines Vorgängers zur Meldung bringen, ob er es gemacht hat, wissen wir nicht. Nach 11 Tagen kamen wir wieder fort und es ging nach Epinal und von da aus nach Marseille. In Lyon hatten wir wieder großen Durst. Wir baten zuerst unseren Posten, uns Wasser zu geben. Dieser erwiderte, er dürfe von uns nicht weg. Dann ersuchte Lang eine Schwester vom Roten Kreuz; diese streckte die Zunge heraus und sprach dann: Für die Boches sei Jauche gut genug, das Wasser seien wir nicht wert.

Die Stunde Aufenthalt kam uns noch einmal so lang vor. Endlich nach einer Stunde fuhr der Zug wieder weiter und als wir in der nächsten größeren Station ankamen, stand ein größerer Transport Kriegsgefangener, die von der Marne kamen, dort. Wir mussten zu diesem Transport umsteigen. Dort bekamen wir auch endlich Wasser und dann ging es fort nach Marseille. Dort angekommen waren wir zwei Tage und eine Nacht auf dem Weg, bei einer Tagesration Lebensmittel, die aus 600 Gramm Brot und 100 Gramm Fleisch bestand und für den zweiten Tag gar nichts. Wir kamen in Marseille in der Nacht um 11 Uhr an. Dann mussten wir vom Bahnhof nach dem Fort Nikolaus marschieren, wo wir unterwegs noch mehrere Verwundete erhielten, da die Franzosen oder Französinnen Teller aus den Fenstern warfen und die Franzosen, die neben herliefen, mit Messern in die Oberschenkel stachen. Des anderen Tags kam ein General zu uns; wir mussten antreten, dann sagte er uns, es seien dies keine Franzosen gewesen, sondern es waren Italiener, was aber nicht wahr ist. 

Auf diesem Fort Nikolaus waren wir 3 Tage und wurden gut verpflegt. Nach den 3 Tagen wurden wir nach Afrika eingeschifft. Wir kamen auf das Frachtschiff Cavator in einen kleinen Punker. Der Raum wäre für 90 Mann klein genug gewesen, da wir aber deutsche Kriegsgefangene waren, so mussten 125 Mann hinein. Wir fuhren noch nicht weit außerhalb des Hafens, da meldeten sich auch schon die ersten Seekranken durch Speien und heftiges Unwohlsein. Wir hatten nebenan noch einen kleinen Raum da standen zwei Behälter, wo die Kranken hineinspeien sollten und ihre Notdurft verrichten sollten. Da aber die See sehr stürmisch war und das Schiff heftig schaukelte und kein Platz zum gehen war, so kamen viele nicht mehr in diesen Raum. Sie fielen quer über die anderen hin und spien so den anderen in das Gesicht oder wo es sich gerade hintraf. Nach einer kurzen Zeit, war der größte Teil meiner Kameraden seekrank. Es war ein fürchterlicher Gestank in diesem Raum. Als dann noch nach einem Tag die Behälter bereits voll waren und durch das arge Schwanken des Schiffes oben heraus plätscherte, war es kaum auszuhalten. Als dann der eine oder der andere bei dem kleinen Punkerloch herausschauen wollte, um frische Luft zu schöpfen, hielt der Kapitän vom Schiff den Revolver von der Kommandobrücke und schrie: „Wenn noch einmal ein Boche den Kopf heraustut, schieβt er ihn hinunter, er will sich nicht Seeräubern opfern“. So mussten wir 46 Stunden in diesem Raum aushalten.

Im Hafen von Algier angekommen, wurden wir ausgeladen, wo wir dann schwarze Bewachung bekamen. Die Elsässer und Polen mussten vortreten und wurden gefragt, ob sie übertreten wollen, sie bekommen dann bessere Behandlung und Verpflegung. Diese kamen dann von uns weg und wir kamen in das Sammellager Tizi-Ouzou am 13. 10. 1914. Dort gab es sehr wenig zu essen für uns. Die Reiskörnchen konnte man zählen.

Am 29. 11. 14 kamen wir in die Wüste Sahara zum Bau einer Schmalspurbahn, dort mussten wir viel Hunger und Durst leiden. Das Wasser war abgekocht und wurde mittels einer Karamelkarawane von Biskra zu uns in die Wüste gebracht. Jeden Tag gab es pro Mann einen Liter Wasser, in der Früh Kaffee, mittags Reiswasser und abends kochten wir nochmals den Kaffeesatz von dem Morgenkaffee ab. Gesichtwaschen war verboten, da die Oase 15 bis 16 km entfernt war, durften wir nur alle 8 Tage (am Sonntag), manchmal alle 14 Tage zum Gesichtwaschen gehen und da durften wir auch unsere Wäsche waschen.

Wir hatten dort auch viel Ungeziefer. Stroh gab es ganz selten, meistens lagen wir auf blanker Erde und da es viel Skorpione und Taranteln gab und sonstiges giftiges Ungeziefer, war es für uns Gefangene sehr unangenehm, in den Zelten auf dem Sand zu ruhen. Es gab sehr viele Sandstürme. Der Sand flog dann so dicht, daß man auf 4 m keine Person sehen konnte. Es gab auch sehr viele große Heuschrecken, die viele unserer Kameraden aßen, da sie großen Hunger hatten.

Mitte Februar kamen 25 Mann nach Tougurt, 217 km in der Wüste, wo ich auch dabei war, zu einem Bahnhofneubau. In dieser Zeit war das Klima bei Tag sehr heiß und bei Nacht sehr kalt. Von dieser Zeit an wurde es alle Tage heißer; bis 26. 6. hatte es dort 69 bis 70 Grad Wärme. An diesem Tag hatten wir noch einen heißen Wind. Dieser dauerte 4 Minuten und war sehr furchtbar. Es legten sich die Araber und die Kamele auf den Boden. Wir machten es auch so und deckten uns mit Decke oder Mantel zu. Den anderen Tag ging es nach Perigottville im Altlasgebirge, wo wir immer mit Arabern in Verbindung standen ohne daß es die Franzosen wussten. Wir kauften von den Arabern viele Eier und Hühner. Die Araber waren alle sehr gut gesinnt gegen uns. 

Von da aus kamen wir nach Baricka, wo wir wieder eine Bahn bauten. Dort kam einmal eine Schweizer Kommission, welche sich sehr um uns Gefangene annahm, die herzliche Grüße von der deutschen Regierung übermittelte und Wünsche und Beschwerden von uns entgegen nahm. Ein Jahr vorher kam einmal eine amerikanische Kommission, die sich aber um uns nicht bekümmerte.

Von Barika ging es nach Setig, von da aus kamen wir im Mai 1916 wieder nach Frankreich in ein großes Sammellager, Carpiagni. Von da aus kam ich nach Dijon auf das Fort Sennecei auf zwei Monate. Dann ging es nach Neveres und von da nach Corbigni in die Steinbrüche. Dort sind mehrere Kameraden tödlich verunglückt durch herabfallende Steine. Von da ging es wieder an das Mittelmeer in die Salzminen bei Aig-Mort auf acht Wochen. Dann kamen wir auf ein paar Tage nach Rimes in das Depot. Von da aus nach Bordeaux, wo wir 15 Monate am Hafen arbeiten mussten. Dort verweigerten wir einmal die Arbeit. Wir sollten Munition ausladen, welche für die Franzosen bestimmt war. Man wollte uns dazu zwingen. Wir lieβen uns aber trotzdem dazu nicht herbei und so mussten die Zivilisten diese Arbeit verrichten.

Am 28. 2. 19 kamen wir in das zerstörte Gebiet nach Lâon, von da nach Chauny und Villequier-Aumont. Dort mussten wir Aufräumungsarbeiten leisten, Schützengräben einfüllen, Munition sprengen und die Toten ausgraben. Dort harrten und warteten wir schon lange auf unsere Auslieferung in die lang ersehnte Heimat und es wurde immer und immer wieder verschoben. Die Franzosen sagten zu uns, die deutsche Regierung wolle uns nicht mehr haben. Wir glaubten dieses bereits, weil schon Kurt Eisner damals in der Schweiz laut des französischen „Journals“ gesprochen haben soll, er könne es der französischen Regierung nicht als Unrecht anrechnen, weil auch die ehemalige deutsche Regierung dasselbe bei den Russen so mache. Somit hat er es den Herren Franzosen schön in den Mund gestrichen, daß sie uns noch nicht ausliefern sollten. Da es nun immer hieß, die Deutschen wollen uns nicht mehr, machten wir große Augen, als wir nach Deutschland kamen und so schön würdevoll empfangen wurden."