Von Stabsarzt d.R. Dr. Gerhard Schumacher, Regimentsarzt des 1. Badischen Leib- Grenadier Regiments 109.

"Heiss war der Marsch von Riegel nach Altbreisach, einige Füsse sind zu verbinden, kurz ist die Ruhe der Nacht, im Morgendämmern des 9. August 1914 liegt Breisach schon hinter dem Regiment. Kilometer reiht sich an Kilometer, oben drückt die Rüstung, unten der neue Stiefel; um Mittag gibt ein wenig Suppe aus den mühsam herangezogenen Feldküchen neue Kraft; doch Staub und Sonne, schattenarme Strassen, das unermüdliche Vorwärts, das trocknet den Gaumen; ein schnell geschöpfter Trunk aus bereitgestellten Eimern belebt für kurze Zeit, doch langsam senkt sich manch Grenadierkinn, das Riemenzeug beengt die Brust, der schwere, dichte, neue feldgraue Stoff lässt die Wärme, die der Körper beim Marschieren entwickelt, nicht durch, auch das Öffnen von Kragen und den "obersten drei Knöpfen" hilft nicht viel; dazu lässt auch der Helm nicht genügend Luft an den erhitzten Kopf gelangen, und er kann bei der Augustsonne nur in den spärlichen Schattenstellen abgenommen werden. Die Füsse schmerzen, der Atem wird flacher; obwohl Bauernwagen Tornister fahren, und trotz aufmunternder und harter Worte sinkt manch einer ermattet zusammen. Die Strassengräben füllen sich bedenklich mit blassen Grenadieren, und kaum zwei Drittel der Truppe treffen nach 50 Km langem Marsch vor Wittenheim ein.

Am Nordausgang dieses Orts wird der erste Truppenverbandplatz des Regiments errichtet auf Befehl des Divisionsarztes, doch nur Marschkranke, einige Hitzschläge, Herzschwächen, gibts zu behandeln. Bald folgt das Sanitätspersonal der Truppe, deren Nachzügler fast vollständig wieder eintreffen, bis in Sicht der Vororte Mülhausens.
Kurz nachdem das Regiment gegen Burzweiler angetreten, folgt das zusammengehaltene Sanitätspersonal den Bataillonen, etwa um 8h Abends.
I. und II. Bataillon errichten den Truppenverbandplatz am Südausgang von Kingersheim in einem Anwesen, das schon von Franzosen als Verbandplatz benützt war. Hier wird zusammen mit einem Bataillon des Regiments 110 bis nachts 2 Uhr gearbeitet. Der Verbandplatz des II. Bataillons wird in Strüthwasen in mehreren Gehöften errichtet. Eines reicht nicht, all die schwerverwundeten Leib- und Kaisergrenadiere aufzunehmen; über 70 Schwerverletzte werden von den Trägern und Grenadieren im Laufe der Nacht gebracht. 

Man erhält den ersten tiefen Eindruck von der Furchtbarkeit des Krieges: Trotz aller Vorbereitung ist die ärztliche Betätigung des Truppenarztes sehr beschränkt. Schmerzen kann man lindern, Not- und Transportverbände sind möglich zu machen, aber der Abtransport ist zu schwer, die Verbindung mit der Sanitätskompanie ist nicht herzustellen, obwohl der Pferdebursche als Meldereiter weggeschickt wird. 
Hier ruft einer nach Wasser, man muss es verweigern, da es für einen Bauchschuss das sichere Ende bedeutet, dort wirft sich im Fieberdelirium ein anderer mit Kopfschuss wild herum, und auch dabei ist völlige Ruhe das wichtigste Heilmittel. Da ruft aus einem Haufen Neueingebrachter ein blasser Junge mit zerschmettertem Bein, daneben sieht man einen bärtigen Vater die Augen schliessen. Bei allen sollte man als Arzt gleichzeitig sein und kann doch nur einen nach dem andern verbinden. Es muss schöner sein, mit dem Gewehr in der Hand zu stürmen, als diese zerfetzten Glieder zu umwickeln und zu trösten, gar zu vertrösten auf die Aufnahme ins Lazarett, die man nicht selber bewerkstelligen kann. 

Im Morgendämmern des 10. August 1914 wird Burzweiler vorübergehend geräumt. Auf dem Verbandplatz Strühtwasen müssen über 40 Schwerverwundete vom Regiment 110 und III./109 unter Sanitätsunteroffizier Haas, 11. Kompanie, zurückbleiben. Doch nach wenigen Stunden rücken wir wieder vor, noch einmal sieht der Arzt bei den Verwundeten vorbei. Drei der Braven sind kalt und steif.
Den Bataillonen geht es nach, durch Burzweiler. Überall in und zwischen den Häusern sind Verwundete. Überall ist das Sanitätspersonal tätig, und bald sind dann auch Wagen und Autos aus Mülhausen zur Stelle und holen unermüdlich Verwundete, um sie dem Krankenhause Mülhausen zuzuführen. Dorthin kommen auch die Verwundeten vom Verbandplatz Strüthwasen.

Am Nachmittag des 10. August wird in Brunstatt südlich Mülhausen ein Verbandplatz für das Regiment vorbereitet. Der dortige Arzt Dr. Scholer leistet wertvolle Hilfe. Doch brauchen wir nicht in Tätigkeit zu treten. Aber die Dunkelheit überrascht uns hier – und die Erschöpfung nach dem Marsch und der Arbeit und Erregung der letzten Nacht - , und dann hält ein nächtlicher Überfall auf ein Biwak der Artillerie und eine Reihe Verwundeter vom Infanterie Regiment 170 das Personal des II. und III. Bataillons noch einige Stunden in Atem. So erreicht das Sanitätspersonal dieser Bataillone erst am 11. August vormittags wieder Anschluss an die Truppe in Mülhausen, wo nächtliche Strassenkämpfe einige Opfer gefordert haben. Der Nachmittag sieht uns wieder auf dem Marsch, der Grenze zu, den Feind verfolgen. Wieder gibt es vereinzelte Marschohnmachten zu behandeln, Fussblasen genug verbinden die Sanitätsunteroffiziere, besonders des Abends im Biwak von Nieder- Spechbach und Gommersdorf.

Bei Dammerkirch

Am 13. August 1914 nachmittags füllt sich in Dammerkirch das kleine Krankenhaus. Die Bataillone bringen dorthin ihre Verwundeten und Toten, die sie auf ihren Patrouillen zu beklagen hatten. Das III. Bataillon hatte in Friesen einen Verbandplatz. Es verliert neben einigen Verwundeten zwei Tote, darunter Leutnant G. v. Bado (Nnm.: Freiherr Gerhard von Babo : III. Bataillon, Zugführer der 10. Kompanie, geb. 23.06.1892, gefallen am 13.08.1914 bei Friesen), I. und II. Bataillon haben eine grössere Zahl von Verwundeten bei Brückensweiler und Willern. Die Gefallenen zurückzubringen ist nicht möglich, da die Krankenträger aus nächster Nähe von den Franzosen beschossen werden. Die beiden Ärzte des Ortes übernehmen die Verwundeten, die bald mit Autos nach Mülhausen geholt werden. Die Bataillone bereiten Verbandplätze vor für die Nacht, doch der erwartete Angriff der Franzosen erfolgt nicht. 
Der 15. August sieht uns zum drittenmal in Mülhausen, die dortige Ruhe wird benutzt, das Sanitätsmaterial zu ergänzen und wieder instandzusetzen. Dann kommt Bahntransport respektive Marsch nach Müllheim und Bahnfahrt nach Baden, die Schwarzwaldberge, denen wir hatten Schutz gewähren können, grüssten uns.