Bericht von Leutnant d.R. Winfried Katterfeld, Infanterie-Regiment 142:
Die den Grenzschutz ausübenden Truppen sicherten durch Vorposten die wichtigsten Straßen und Wege nach Frankreich hin. Starke und zahlreiche Patrouillen klärten das Gelände vor der Sicherungskette bis zur Grenze auf.
"Hinter der vordersten Sicherungslinie der Kavallerie hatten die einzelnen Kompanien Aufstellung genommen, von Altkirch über Burnhaupt - Exbrücke (Anm.: heute Pont d'Aspach) bis tief in das Dollertal hinein. Es galt, französischen Aufklärungsabteilungen den Einblick zu wehren, damit sich weiter hinten der Aufmarsch der Kameraden in Ordnung vollziehen konnte. Soweit es der Wachdienst erlaubte, ließen es unsere Leute in den schönen, wohlhabenden Dörfern sich gut sein, als ob es Manöverrasttage wären. Am besten hatten es wohl unsere 4./142, die etwas weiter zurück im alten Trappistenkloster Ölenberg (Anm.: heute Abbay d‘Oelenberg) untergebracht und verpflegt wurde. Noch wussten wir nichts Bestimmtes, ob es richtig losgehen sollte, oder ob die Diplomaten noch einmal einen notdürftigen Frieden zusammenleimen würden.
Da kam am Abend des 5. August der Befehl: „Sofort marschbereit halten!“. Die Kompanie rückte auf Leiterwagen nach Niedersulzbach (Anm.: heute Soppe le Bas), wo, wie man uns sagte, ein Jägerposten angeschossen worden war. Der gleich an der Grenze gelegene Ort wurde besetzt. Am folgenden Tage gab es Patrouillen bis an das Zollhaus, von wo man weit nach Frankreich hineinsehen konnte. Wir hatten noch einen kleinen Zusammenstoß mit einer französischen Abteilung und dabei den ersten Verwundeten des Regiments. Aber die Franzosen rissen aus, das war die Hauptsache, und schossen miserabel schlecht!
Am 7. August wurde es ernster: Unsere 4./142 unter Hauptmann Freiherr von Linstow kam zuerst ins Feuer. Wir hielten die Höhe östlich Niedersulzbach, die von mindestens einem französischen Regiment angegriffen wurde. Sehr geschickt arbeitete der Feind sich heran, bis plötzlich aus allen Falten und Deckungen des Geländes seine Schwarmlinien hervorbrachen. Tüchtig machten wir ihnen zu schaffen, und manchen sahen wir fallen. Als aber die Franzosen unsere Kompanie zu umflügeln drohten, gab der Hauptmann den Befehl, durch den Wald nach Exbrücke zurückzugehen, wo eine andere Kompanie, die unseren Rückzug deckte, ebenfalls kurz ins Gefecht kam. Ähnliche Zusammenstöße mir weit überlegenem Feind hatten etwa um dieselbe Zeit auch die anderen Abteilungen unseres Regiments, am heftigsten die, welche bei Altkirch focht.
Das war also die Feuertaufe gewesen! Es war ganz so, wie wir es erwartet hatten, bis auf das Pfeifen der feindlichen Geschosse, ganz wie im Manöver. Die Verluste waren gering. Ein Musketier erhielt einen Schuss durch den Schenkel; da zog Sergeant Benz seinen Rock aus und trug den Verwundeten 6 km durch dichten Wald, um ihn nicht in Feindeshand fallen zu lassen. Benz war einer der strammsten Unteroffiziere der Kompanie, aber jeder hatte ihn gern, denn man fühlte, daß er ein ganzer Kerl war. Bei Saarburg hat er den Heldentod gefunden.
Alles zog sich nun zurück, und es schien, als sollte Mülhausen wirklich preisgegeben werden, wie man manchmal munkeln hörte. Aber nein! Auf einer Höhe vor Lutterbach war unsere Artillerie aufgefahren, Maschinengewehre wurden vorgebracht, und jetzt flogen die Spaten heraus, Deckungen entstanden, das Schussfeld wurde freigelegt. Mit I./142 waren diese Truppen durch Wald und sumpfige Wiesen weit vorgeschickt, um die Franzosen aufzuhalten, bis auf der Höhe von Schavann die Entwicklung der verstärkten 58. Infanterie-Brigade vollendet war. Da hatten gegen Abend unsere Flieger den Anmarsch dreier feindlicher Divisionen gemeldet, und nun erging der Befehl, noch weiter zurückzugehen, bis an den Rhein.
Die 112er hatte man noch rechtzeitig zurückrufen können, unsere 4./142 nicht mehr. Unvergesslich werden uns allen diese Stunden bleiben. Es war eine milde Nacht, ein leichter Nebel lag über den feuchten Wiesen, irgendwo in der Ferne rauschte ein Fluss, oder waren es Kolonnen, die auf der großen Straße bei Schweighausen (Anm.: heute Schweighouse) zogen? Längst hatten wir den befohlenen Platz erreicht, aber von den Brigadekameraden war nichts zu finden. Dagegen stellten Patrouillen fest, daß die nahe Hartmühle (Anm.: heute Ferme de la Hardt) vom Feinde besetzt war: kein Zweifel, wir standen bereits im Rücken der Franzosen! Etwa um 1 Uhr nachts faste unser Hauptmann den Entschluss, der ihm sicherlich schwer wurde, zurückzugehen, die eigenen Truppen noch zu erreichen, falls es noch möglich sei. Wir fanden Niedermorschweiler (Anm.: heute Morschwiller le Bas) noch frei vom Feind, in Dornach stand ein Feuerwehrmann im Schilderhaus, Mülhausen selbst war wie ausgestorben. Hier trafen wir die letzte Jägerpatrouille. Wohl drohte mancher vor Übermüdung zusammen zu brechen, aber jetzt schlapp machen, hieß, dem Feind in die Hände fallen. Da bissen sie die Zähne zusammen und marschierten. Um 8 Uhr vormittags kamen wir nach Neuenburg: über 60 km hatten wir zurückgelegt!
Mülhausen hatte der Feind besetzt, bis Napoleonsinsel (Anm.: heute Ile Napoléon) streiften seine Reiter. So kam der 9. August..."