Kriegs–Tagebuch des Einjährig - Freiwilligen im 2. Badischen Grenadier Regiment Kaiser Wilhelm I. N°. 110 (II. Bataillon Heidelberg) Josef Uhrmacher, stud. germ. aus Godesberg. Weltkrieg 1914/15 (31. Juli – 2. September 1914).

Durch einen glücklichen Umstand sind wir in den Besitz dieser 11-seitigen Aufzeichnung gelangt. Das Tagebuch beginnt am 31. Juli 1914 in der Kaserne in Heidelberg. Weiter wird die Fahrt an die Front über Schwetzingen, Karlsruhe nach Denzlingen beschrieben. Dann der Vormarsch über Ihringen, Breisach, Ensisheim bis vor Mülhausen. Teilnahme an der ersten Schlacht um Mülhausen am 9. August 1914. Nach dem Gefecht Weitermarsch über Dornach, Niederspechbach, Dammerkirch, Willern bis Chavannes. Hier kam es am 13. August zu einem  weiteren Gefecht. Dann wurde das Regiment abgelöst und zog sich über Ballersdorf, Altkirch, Illfurt, Brunstadt, Mülhausen, Eichwald, und Neuenburg nach Müllheim zurück. Das Regiment kam danach bei Arzweiler – Saarburg und im Meurthetal zum Einsatz. Am 27. August wurde der Verfasser verletzt, und es ging in einer abenteuerlichen Fahrt zurück in die Heimat. Offensichtlich hatte er dort die Möglichkeit und die Zeit, das Erlebte mit der Maschine zu Papier zu bringen. Bilder und Fußnoten wurden von uns eingefügt.

Ausschnitt des Original Dokuments. Die Seiten haben noch nicht das heute übliche A4 Format, sondern eine Größe von 21 x 33 cm.

"31. Juli.
Nachmittags gegen 4 Uhr rauf auf die Kammer; Kriegsgarnitur empfangen. „Erhöhte Kriegsbereitschaft“. Abends habe ich Bahnhofwache bis anderen Mittag.
1. August.
Nachmittags Exerzieren und Zielen auf dem Messplatz. Als wir gegen 6 Uhr heimrücken, kommt die Nachricht, dass mobil gemacht ist. Unter dem begeisterten Hurrahrufen der Volksmenge ziehen wir in die Kaserne zurück. Abends muss ich auf die Bahnhofskommandatur mit dem Einjährigen Unteroffizier Kerle und Leutnant Schede (Hans Georg) und arbeite Geheimschriften durch (Truppen–Transporte usw.).
2. August.
Dort bleibe ich bis Sonntag Abend 5 Uhr. Danach noch Appell auf dem Karlsplatz.
3. August.
Morgens Exerzieren unter Leutnant Schede. Nachmittags muss ich Fourage (Anm: Pferdefutter) holen, während die Kompanie schwer exerziert auf dem kleinen Platz. Abends bringe ich Leutnant Schede (Hans Georg) an die Bahn, der plötzlich abkommandiert ist, um in Mannheim die jungen Rekruten auszubilden.
4. August.
Morgens ½ 9 Uhr zum Waffenmeister. Von Mittags Bahnhofwache bis zum
5. August.
mittags mit Unteroffizier der Reserve Buck.
6. August.
Morgens beichten und kommunizieren.
7. August.
Morgens Absperren beim Scharfschießen auf dem Hegenich. Rückkehr 3 Uhr nachmittags; letzter Appell feldmarschmäßig für das ganze Bataillon auf dem Jubiläumsplatz vor der Stadthalle. Paul Gies schläft die Nacht auf meinem Sofa.
8. August.
Morgens 5 3/4 Uhr antreten, mit Musik abmarschiert. Begeisterung der Bevölkerung! Kurz vor dem Abmarsch wird uns das Telegramm verlesen, dass die 66er von Magdeburg und die 27er von Halberstadt die belgische Festung Lüttich genommen haben. Der Weg nach dem Norden Frankreichs steht offen. 7 Uhr 30 Min. fahren wir ab Heidelberg über Schwetzingen, Karlsruhe bis eine Station vor Freiburg (Denzlingen) am Fuße des Kandel, wo wir gegen 6 Uhr Abends sind. Von Denzlingen beginnt unser Vormarsch. Wir marschieren bis gegen 12 Uhr nachts und
9. August.
halten Rast bis 3 Uhr in einem Dorf vor Ihringen. Unser 1. Zug unter Leutnant Schede muss den Ausgang des Dorfes besetzen, da der Feind gemeldet ist. Um 3 Uhr geht’s weiter über Alt- und Neubreisach und Ensisheim bis vor Mülhausen. Ungeheurer Marsch von ungefähr 84 km. Sehr viele Verluste durch die glühende Hitze. Unser Regiment soll allein 40 Tote und 400 Liegengebliebene haben. Abends gegen 7 Uhr greifen die Franzosen an, die eine hervorragende Stellung auf einer Anhöhe vor Mülhausen haben. Bei unserem Ansturm aber ziehen sie sich in panikartiger Flucht durch Mülhausen zurück. Nachts habe ich noch Posten auf der Kanalbrücke vor Mülhausen. Artillerie und Maschinengewehre sind die ganze Nacht in Tätigkeit. Kurze Zeit schlafe ich mit anderen in einem als Lazarett eingerichteten Haus. Aber wir werden bald durch heftiges Gewehrfeuer, das durch alle Fenster dringt, geweckt. Die Franzosen greifen wieder an, werden aber durch unsere Maschinengewehre zurück getrieben. In der ganzen Umgegend wird nach verstecktem Feind gesucht.
10. August.
Morgens gegen 7 Uhr beginnt unser Einmarsch in Mülhausen. Dann wird manövriert in der Umgegend. Wir werden auf die Berge geschickt, dann wieder runter, dann wieder rauf, schließlich abends wieder runter. Ich gehe wegen meiner schlimmen Füße auf den Bagagewagen (Gefechtsbagage). Als wir abends in die Stadt reinkommen, beginnt auf einmal (Punkt 10 Uhr 40 Min. Zeichen!) ein allgemeiner Aufstand. Unser Wagen geht durch, wir ungefähr 8 Mann werden in eine dunkle Gasse rein getrieben, von allen Seiten in Feuer genommen, retten aber den Wagen und entkommen glücklich. Ganze Nacht hindurch Verhaftungen in der Stadt.
11. August.
Am anderen Morgen kommen wir in das Quartier in Dornach. Nachmittags Abmarsch bis Nieder-Spechbach (Anm.: heute Spechbach-le-Bas).
12. August.
Weitermarsch bis zum Biwak in Dammerkirch (Anm.: heute Dannemarie).
13. August.
Morgens Exerzieren danach Unterricht. Nachmittags Abmarsch nach Willern (Anm.: heute Romagny) bei Altmünsterol (Anm.: heute Montreux-Vieux), wo die Franzosen unsere 109er hinterlistig aus den Häusern überfallen hatten, obwohl der Bürgermeister versichert hatte, dass keine Franzosen mehr im Dorfe steckten. Zunächst wird das ganze Dorf durch unser Artilleriefeuer in Brand gesteckt. Dann beginnt der Angriff auf die Franzosen. Wir dringen vor und treiben sie aus dem Dorf heraus. Beim weiteren Vorgehen rettet mich der Helm. Hinter mir platzt ein Schrapnell und ein Teil davon fliegt gegen den Greif vorn am Helm. Heftige Erschütterung, aber ich kann bald wieder weiter und gehe beim nächsten Sprung wieder mit vor. Trotz der Übermacht des Feindes haben wir bald unsere Aufgabe schon mehr als gelöst; wir sollten nur das deutsche Gebiet vom Feinde räumen und standen schon auf französischem Boden (bei Chavannes). So gehen wir denn mit Anbruch der Dunkelheit in unser Biwak nach Dammerkirch zurück.
 
Dieser kleiner Friedhof bei Chavannes les Grands erinnert heute noch an die Ereignisse vom 13. August 1914.
 
14. August.
Es kommt die Nachricht, dass wir vom 14. Reservekorps abgelöst werden und selbst auf einen anderen Kriegsschauplatz kommen. So marschieren wir zurück über Ballersdorf, Altkirch, Illfurt nach Brunstadt. Dort Quartier.
15. August.
Am anderen Tag um 12 Uhr 30 Min. Abmarsch nach Mülhausen bei strömendem Regen. Eine kurze Rast in der Kaserne von Mülhausen. Dann Weitermarsch über Eichwald (Anm: heute Chalampé), Neuenburg nach Müllheim i/B., wo wir gegen 12 Uhr nachts vollständig durchnässt ankommen. Dort feines Quartier in einer Scheune, die zur „Bäckerei Cramer“ gehört!"
 
Denkmal bei Montreux Jeune an den 13. August 1914 mit den 143 Namen der französischen Gefallenen.
 

Hier endet der Einsatz des Regiments im Oberelsass. Da der weitere Bericht jedoch sehr spannend und interessant ist, soll er hier auch in voller Länge wiedergegeben werden.

Übersichtskarte: der weitere Vormarsch des Regiments westlich Straßburg.

"16. August.             
Weitermarsch nach Heitersheim. Dort werden wir verladen und fahren über Freiburg, Appenweier (dort Abendessen), über Strassburg, Zabern (Anm.: heute Saverne) bis vor Arzweiler (Anm.: heute Arzviller), wo wir 3 Uhr morgens eintreffen.
17. August.
Abmarsch von der Bahnlinie nach Heinrichsdorf (Anm.: heute Henridorff) auf die Höhe. Dort Quartier (strömender Regen). Fast den ganzen Tag gepennt.
18. August.
Morgens Exerzieren. Sonst faulenzen und Sachen in Stand setzen. Abends Schützendienst üben und blödsinniger Appell mit Schuhwerk, Gewehr, Seitengewehr, eiserner Portion und Strümpfe (die fast keiner mehr hatte).
19. August.
Morgens auf der Wiese Fußbad nehmen. Es wird gemeldet, dass die Franzosen in befestigter Stellung liegen bei Hessen-Bühl; feindliche Cavallerie bei St. Georg bis Saarlouis. Unsere Stellung: Arzweiler – Saarburg (Anm.: heute Sarrebourg). Gestern haben Reservebatterien unserer Fußartillerie die französische Artillerie, die in die Stellung fahren wollte, so zusammen geschossen, dass fast nichts mehr übriggeblieben ist. Wir erwarten jetzt die Entscheidungsschlacht.
20. August.
Morgens um 5 Uhr werden wir geweckt. Bald geht’s los, ins Tal runter und dann weiter in westlicher Richtung südlich von Saarburg. Wir erhalten gegen Mittag, nachdem wir in unserer Deckung noch heftiges Schrapnellfeuer haben aushalten müssen, die Aufgabe, das Dorf Brudersdorf (Anm.: heute Brouderdorff) zu stürmen, was wir auch unter starken Verlusten ausführen. Unser 1. Zug unter Feldwebel Mueller kommt noch in ein furchtbares Feuer vor einem Haus, das stark von Franzosen besetzt ist. Leutnant Schede fällt von drei Kugeln getroffen. Einj. Möhrle wird am Hintern verwundet. Nach Anbruch der Dunkelheit ins Biwak vor dem brennenden Dorf. Es kommt die Meldung vom Korps, dass auf der ganzen Linie gesiegt ist; Franzosen ziehen sich zurück. Überall ertönen die begeisterten Lieder an den Wachtfeuern!
21. August.
Wir verfolgen die Franzosen, säubern die Wälder und machen Gefangene. Wir sind alle furchtbar schlapp vor Hunger. Abends sollen wir noch einige französische Geschütze, die uns befeuern, umgehen. Es ist aber nicht nötig, die Franzosen sind schon wieder geflohen. Die 109er haben 20 Geschütze erobert. Biwakiert auf einer Anhöhe 5 km von der französischen Grenze.
22. August.
Morgens erst Schützengräben ausheben; ist aber nicht nötig, da der Feind keinen Gegenstoß mehr wagt. 2. Bataillon soll vorgehen und den Feind verfolgen. Mittags kommen wir über die französische Grenze in den Wald La Grange (Anm.: heute Bois de la Neuve Grange). Dann beginnt das Gefecht, die Franzosen haben einen Wald dicht besetzt. Wir kommen als 1. Zug in offener Linie in ein tolles Feuer. Nachher gehen wir allein im Wald zu weit vor und gerade über uns platzen die Granaten. Mein Nebenmann, der Opernsänger Wolf aus Bamberg, der an die Wiener Volksoper kommen und schon Probesingen sollte, wird getroffen und verwundet. Ich entkomme wieder wie durch ein Wunder. Wir gehen ungefähr einen halben Kilometer zurück und übernachten im selben Wald. Franzosen ziehen sich zurück, können aber 65 schwere Geschütze nicht mehr mitschleppen, die so in unsere Hände fallen.
23. August.
Morgens 5 Uhr Weitermarsch, aber jetzt nicht mehr als Spitze. Es ist Sonntag. Wir ziehen durch ein romantisches Wäldchen und einen Park mit einer schönen Villa, kommen dann in das Dorf Cirey (Anm.: heute Cirey sur Vezouze), marschieren weiter und den ganzen Nachmittag bleiben wir in einem Wäldchen und faulenzen. Der Ruhetag tut gut. Endlich auch mal wieder Essen. Ich schreibe 2 Postkarten nach Hause und eine an Paul Gies. Heute morgen habe ich die erste Feldpost aus der Heimat erhalten, und zwar einen Brief von meinen Eltern vom 9.8., eine Karte von Paul Gies aus Schwetzingen vom 14.8. und aus Heidelberg einen Brief vom 17.8. Nachmittags kommt noch eine Karte von Mutter an vom 14.8.
24. August.
Der Ruhetag dauert nicht lange, nachts gegen 3 Uhr kommt Alarm; wir sollen, wie der Hauptmann behauptet, ein französisches Fort umgehen. Wir rücken also weiter zuerst über eine Hochebene in den Vogesen, von der aus man eine prachtvolle Aussicht hat, durch zahlreiche in Brand geschossene Dörfer (St. Maurice (Anm.: heute Saint Maurice aux Forges)). Gegen Mittag nach vielem Hin- und Hermanövrieren im Wald, der von der feindlichen Artillerie beschossen wird, rücken wir weiter in das Dorf Pexonne, das der Feind schon verlassen hat. Dort bleiben wir eine Zeitlang und plündern feste mit mehreren anderen Regimentern das Dorf. Abends geht’s weiter an einer vollständig zerschossenen Batterie vorbei, bis wir endlich auf einer Anhöhe Halt machen und biwakieren (+mein schöner Stiftzahn).
25. August.
Weiter geht’s durch einen Wald und ein Wiesental; wir müssen infolge des heftigen Artilleriefeuers, das aus gut verschanzter Stellung aus den Bergen der Hochvogesen jenseits der Meurthe kommt, auf steile Anhöhe hinaufklimmen. Dann kommen wir in das Tal der Meurthe ungefähr 5-7 km nördlich von Raon l’Etappe. Hinter der Brücke, auf der zahllose Tote, meist 109er, lagen, geraten wir unvermutet in das heftigste Schrapnellfeuer. Eine schnell erreichte Deckung bewahrt uns vor allzu großen Verlusten. Wir rücken weiter vor durch ein Dorf (Tiaville?) (Anm.: heute Thiaville sur Meurthe) und – das feindliche Artilleriefeuer uns gegenüber hat aufgehört – gewinnen die Höhen jenseits der Meurthe. Darauf kurze Rast, die Feldküchen können nachkommen, doch kaum haben wir gegessen, als der Befehl an uns kommt, den Feind zu umgehen, und wir deshalb auf die Gipfel der Höhen geschickt werden. Dort gehen wir in unsere Stellung, sind zum Angriff bereit, aber unversehens bricht die Dunkelheit an, der Feind ist uns wieder entwischt und hat sich in seine Vogesenschluchten zurück gezogen. Wir übernachten in einem Walde am Westausgang des Dorfes La Haute Neuveville (?).
26. August.
Am anderen Morgen werden wir plötzlich von allen Seiten überfallen. Der Oberst verteilt in größter Eile, aber in guter Ordnung sein Regiment zum Sturm auf alle Höhen der Umgebung. Ich komme mit einem Teil der 5. Kompagnie unter dem Vice-Feldwebel Wous auf die Anhöhen nördlich des senkrecht ins Meurthetal mündenden Tales. Ein anderer Teil geht ungedeckt in dem offenen Tale vor und macht regelrechten Gefechtsangriff. Wir im Walde pflanzen sofort Seitengewehr auf und vertreiben mit furchtbarem Hurrah die Franzosen. An diesem Morgen haben wir ungeheure Verluste. Von meinen Bekannten fallen: Einj. Schepp, Grenadiere Schwaiger, Petri, Ihrig; schwerverwundet und nicht aufgefunden der Einj. Strobel. Nach geraumer Zeit wird unser Bataillon, das allerdings nur sehr schwach war, vor einem Waldhause auf der davor liegenden Wiese gesammelt. Nun werde ich mit dem Gefreiten Mauritz und zwei anderen unserer Kompanie auf Patrouille in den davor liegenden Wald geschickt. Von einer kleinen Feldwache unter dem Serganten Wurst, die allerdings nur aus 4-5 Leuten bestand und in demselben Walde jenseits der Landstraße lag, werden wir herangezogen; einzeln sollten wir die Straße überschreiten und schnell im Wald zu der Wache empor klimmen. Als ich jedoch als erster über die Straße lief, bekam ich auf einmal von einer gar nicht weit vor uns an einer Straßenbiegung liegenden größeren Abteilung der Franzosen starkes Feuer. Es war anscheinend eine von einem Offizier geführte Feldwache. Ich kam jedoch glücklich hinüber, aber nicht alle von uns. Und jetzt gaben wir unter Leitung des Serganten auf die feindliche Abteilung einzelne Salven ab, deren Erfolg sehr zufriedenstellend war. Bald jedoch kommt von hinten ein Melder (Grenadier Hermann) herangekrochen und bringt mit leiser Stimme den Befehl, wir sollten uns einzeln mit größter Vorsicht und möglichst unbemerkt zurück ziehen. 
Kaum aber beginnt der erste den Befehl auszuführen, als wir alle aus ganz nächster Nähe ein mörderisches Feuer (Gewehr und Maschinengewehr) bekommen. Wir laufen eiligst den Abhang des Waldes herunter und suchen unten eine Deckung um nun zu sehen, wie wir weiter kommen. Aber nur offenes Gelände, breite Wiesen trennen uns von den unsrigen. Wir wählen die kürzeste Wiese, die uns von einem Walde trennte, in dem die 111er lagen, und laufen einzeln unter dem heftigen Maschinengewehrfeuer der Gegner rüber. Also auch ich wieder der drohenden Gefahr entronnen! Drüben aber treffe ich nur noch mit dem Führer, dem Serganten Wurst, und dem Unteroffizier Wieder zusammen; wo die anderen ihren Schutz gefunden haben und ob sie überhaupt einen fanden, weiß ich nicht. 
Nun liegen wir also bei den 111ern, deren Manöver uns sehr sonderbar vorkam; denn einmal hieß es "Kehrt Marsch" und dann wieder zurück in die alte Stellung. Darauf nochmals "Kehrt marsch!". In dem Augenblick bringt ein 111er die Nachricht, seine Kameraden, etwa 8 Mann, seien in einem Hause, das in einem Seitentälchen etwa eine Viertelstunde vor unserer Front liege, von den Franzosen eingeschlossen; die meisten seien verwundet, er selbst habe den einzig möglichen Ausweg genommen und sei glücklich dem scharfen Feuer entkommen. Sergant Wurst und ich geben uns die größter Mühe, die zurückgehenden 111er zur Umkehr zu bringen. 
Es gelingt uns mit vieler Mühe eine kleine Schaar zusammen zubringen, um die Kameraden zu retten; doch nur sehr widerwillig folgen sie uns, da ihnen das Unternehmen dem starken Feind gegenüber allzu tollkühn erscheint. Sobald denn auch von hinten der nochmalige Ruf kommt: „Befehl vom Regiment Kehrt marsch“, machen sie schleunigst kehrt und gehen mit den anderen zurück. All unser Drängen hilft nichts, unser Appell an ihr Kameradschaftlichkeitsgefühl. Da gehen wir denn, Sergant Wurst und ich, zum nächst erreichbaren Offizier; es war Oberleutnant Borke, der damals die 8./110 führte. Dieser gab unsern Bitten nach und sein Kommandowort brachte denn auch eine etwa einen halben Zug starke Abteilung zusammen, Behutsam schlichen wir nun an das Haus heran und nahmen den allerdings überstarken Gegner in Feuer. Dieser saß meistenteils oben auf den Bäumen. 
Nun hörten wir Stimmen aus dem Hause: „Rettet uns, wir verzweifeln“. Wir riefen ihnen zu, sie sollten doch nur herauskommen. Nach anfänglichem Schwanken, da der Gegner das Haus fortwährend unter Feuer hielt, wankten dann auch drei Gestalten heraus, ein Feldwebel, der sich kaum mehr zu halten vermochte, und 2 Mann. Wir feuerten nun weiter auf den gegenüberliegenden Gegner; plötzlich platzen neben uns Granaten. Eigene Artillerie! Sollen wir noch hier liegen bleiben und uns von den eigenen Leuten zusammen schießen lassen, wo wir doch unsere Aufgabe erfüllt haben? Wir auf dem linken Flügel fragen an nach rechts, was wir tun sollen. Da merken wir zu unserem Schrecken, dass die Verbindung abgebrochen ist und unser Oberleutnant mit den Geretteten schon längst wieder abgezogen ist. 
Wir lagen zu ungefähr noch 10-15 Mann allein hier in Gefahr, vom starken Feind umzingelt zu werden. Nach ungefähr einer Viertelstunde der Beratung, während ich mich allerdings an Waldbeeren satt gegessen habe mitten im feindlichen Granatfeuer, gehen wir den selben Weg zurück, den wir gekommen sind, nehmen noch ein paar andere Versprengte nebst einem Leutnant mit und kommen zu unserem Regiment 110 zurück, das auf dem Sammelplatz aber nur noch eine schwache Kompanie stark war. 
Allmählig stellen sich immer mehr Versprengte ein und als man abends nachzählte, sind von den 3400 Mann, die in den Krieg ausgezogen waren, noch ganze 570 übrig mit 8 Offizieren. Unser erster Zug muss die Nacht auf Feldwache ziehen unter Feldwebel Mueller bei den beiden Geschützen, die uns zur Bedeckung mitgegeben waren. Strömender Regen. Bald kommt Befehl verschärfter Aufmerksamkeit. Drüben auf dem Berge hören wir die Franzosen mit ihren Karren ziehen, wahrscheinlich zurück und in neue unsichtbare Stellung hinein.
27. August.
Den ganzen Morgen muss ich mit 8 anderen wiederum draußen bei der Feldwache im strömenden Regen liegen, diesmal ganz oben im Walde als rechte Flankendeckung. Mittags werden wir abgelöst und kommen zum Regiment zurück. Hier bekommen wir auch endlich etwas Essen. Ich koche noch schnell ein ganzes Kochgeschirr voll Suppe aus Conserven-Erbsen und schlinge es herunter. Am frühen Nachmittag werden unsere Toten begraben. An einer Stelle 10 von unseren Grenadieren, daneben die Franzosen. Unsern Leuten hält der Oberst selbst eine Grabrede, aber schon bald nach den ersten Worten treten ihm die Tränen in die Augen, er kann kaum weiter sprechen; auch wir alle sind tief ergriffen. 
Kurz darauf heißt es zum Aufbruch fertig machen. Nun ziehen wir 110er ganz allein – die 111er waren gestern am Spätnachmittag wieder nach Raon l’Etappe zurückgekehrt – mit den beiden Geschützen und einigen Jägern als Bedeckung weiter hinauf in die Berge. Ungefähr eine Stunde marschieren wir, sind gerade auf dem Gipfel des Berges angelangt und wollen schon ins Tal hinunter, als die Marschkolonne plötzlich von einem wahnsinnigen Gewehrfeuer überfallen wird. Kein Feind zu sehen, und doch pfeifen wie toll die Kugeln um unsere Köpfe. 
Daher schnell in Deckung hinter den Chausseegraben und dann nach allen Richtungen ausgeschwärmt. Mit aufgepflanztem Seitengewehr, mit Hurrah geht’s vor, aber noch immer trotz des Kugelregens kein Feind zu sehen, und dazu plötzlich noch Schüsse von hinten. Jetzt merken wir, dass die Kerle oben hoch in den Bäumen hocken, Alpenjäger und Schwarze. Daher wird jeder Baum einzeln abgesucht, die Kerle heruntergeschossen und dann weiter vor. Jetzt erst sah ich in der Ferne einige von den Schuften zurücklaufen, wahrscheinlich wieder hinter neues undurchsichtiges Gebüsch. 
Als wir nun weiter vorgehen, merken wir, dass der ganze linke Flügel nicht nachkommt, daher suchen wir, etwa 6 Mann vom rechten Flügel, die wir am weitesten vor waren, eine schöne Stellung, kurz da wo die Chaussee von uns überschritten werden musste; hier sollten die Nachzügler zu uns stoßen. Aber da kamen wir schön an, gerade hier war das stärkste Feuer. Mit größter Genauigkeit trafen die französischen Jäger jeden, der nur etwas hinter seinem Baum hervor kam oder seine Deckung verlies. Da bekam ich denn auch meinen Schuss in die rechte Schulter, wahrscheinlich von einem Baume jenseits der Chaussee herunter. Mein Nebenmann bekam einen Schuss in die Hand, dem zweiten wurde die Helmspitze abgeschossen; ungefähr zur gleichen Zeit bekam der Einj. Simon einen Schuss in den Kopf und war direkt tot, Boyens bekam 3 Schüsse, aber nur leichte Verwundungen in Schulter, Gesäß und Fuß. Unteroffizier Hirsch von der 12./110 verbindet mich notdürftig hinter einem Baum, in den andauernd Kugeln einschlagen. 
Nach dem Ende des Gefechts zieht unser Regiment sich in eine Talschlucht auf der Chaussee nach Etival (Anm.: heute Etival-Clairefontaine) zurück, wo wir eine solche Stellung hatten, dass die Franzosen, die uns umzingelt hatten, während der ganzen kritischen Nacht uns nicht anzugreifen wagten. Ich schleppe mich noch eine Stunde weit mit, um nur nicht in Gefangenschaft der Franzosen zu geraten. Nachts komme ich auf den Protzkasten des einen Geschützes zu sitzen neben einem anderen Verwundeten, dem das ganze Gesicht zerschossen war, so dass man nur noch die Schnurrbarthaare erkennen konnte. 
28. August.
Eine furchtbare Nacht, Regen, die Glieder des Oberkörpers vollständig steif infolge der Wunde, eine Art Genickstarre, und dann die kritische Lage, jeden Augenblick Gefahr überfallen und niedergemacht zu werden oder im günstigsten Fall als Verwundeter in Kriegsgefangenschaft geschleppt zu werden. Am anderen Morgen werden wir Verwundeten, die wir sehr zahlreich sind, auf die Gefechtsbagage verteilt; ich komme auf die Feldküche der 3./110. Das Regiment mit den beiden Geschützen zieht aus, um den Durchbruch zu versuchen, immer weiter vorwärts; seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. 
Im Laufe des Tages kommen wir in die Scheune einer in der Nähe sich befindenden Mühle und erhalten abends vom Stabsarzt Messmer den ersten Notverband. Da kommen Dragoner und melden, dass sie uns schon vor 48 Stunden hätten zurückholen sollen, uns aber nicht gefunden hätten, jetzt seien wir 20 km zu weit vor. Daher die Umzingelung! Nun machen sich die Dragoner auf, das Regiment zu suchen, denn nur die Bagage war ja hier zurückgeblieben. Es gelingt ihnen aber nicht das Regiment ist unauffindbar.
Abends werde ich auf den Patronenwagen der 3./110 verladen, neben uns platzen noch ungefähr 10 wohlgezielte französische Granaten hart an der Chaussee; die feindliche Artillerie suchte wahrscheinlich die ganze Gegend ab. Darauf kommen die Verwundeten in einen zur Mühle gehörigen Schuppen für die Nacht. Am anderen Morgen 
29. August
werden wir wieder verladen, die Dragoner melden, dass sie das Regiment immer noch nicht gefunden haben, dass aber der Rückweg nach Raon l’Etappe frei sei. Kurz entschlossen lässt der Führer der Bagage dahin zurückfahren. Jetzt noch eine qualvolle Fahrt auf dem rappeligen Patronenwagen, vorbei an den vielen Leichen, die an der Chaussee lagen und die Luft verpesteten. In Raon l’Etappe kommen wir ins Feldlazarett N° 8 des XV. Armeekorps, wo es allerdings kein Wasser, wenig Brot und nur Bohnen zu essen gab. Exzellenz von Deimling besuchte uns. Am
1. September
gegen 11 Uhr erwischte ich ein Sanitätsauto, das verwundete Offiziere nach der nächsten Bahnstation brachte. Ich schmuggelte mich mit hinein und nun fuhren wir über Badonviller, Cirey nach der nächsten deutschen Bahnstation, von da kamen wir mit der Bahn nach Saarburg, wo wir gegen 3 Uhr nachmittags waren. Abends gegen 9 Uhr werden wir in den Verwundeten-Transportzug verladen – allerdings ein holpriger Güterwagen, dessen Federlosigkeit der Schulter nicht gerade gut tut. Dann ging‘s über Strassburg, Karlsruhe, Bretten, Eppingen nach Heilbronn, wo wir am 
2. September
nachmittags einhalb drei Uhr ankamen."